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Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung
Autoren: Fischer Claus Cornelius
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Flics da waren, aber sie sind nicht reingegangen, obwohl Leute rausgerannt kamen und nach ihnen gerufen haben.« Sie hielt kurz inne, dann fügte sie hinzu: »Ich kann gar nicht fassen, dass er tot ist. Haben Sie ihn gut gekannt? «
    Â»Nein. Nicht sehr gut.« Ella versuchte noch einmal aufzustehen, aber ihre Kraft reichte noch immer nicht aus, und sie ließ sich wieder zurücksinken.
    Â»Geben Sie mir Ihre Hand«, sagte Mado. Sie war kräftiger, als es den Anschein hatte, und zog Ella hoch, bis sie stand. »Sie sind voller Blut.«
    Â»Ist nicht alles meins.« Ella hielt Mados Hand noch einen Moment fest. Sie versuchte zu lächeln, aber das war zu viel verlangt. Stattdessen sagte sie: »Ich kann es Ihnen jetzt nicht so zeigen, aber ich freue mich wirklich, Sie wiederzusehen.«
    Â»Sie zittern.«
    Â»Weil ich so wütend bin!«
    Anni hat mich angesteckt mit ihrer Wut, dachte sie; wir sind zwei wütende Frauen geworden. Schwankend und mit weichen Knien ging sie langsam zu Annika. Annis Lippen standen ein wenig offen, aber sie atmete gleichmäßig, als wäre sie nach dem Anfall von der Ohnmacht einfach in den Schlaf hinübergeglitten. Die Augen unter den Lidern wanderten sanft hin und her. »Danke«, flüsterte Ella.
    In der Ferne hörte sie Sirenen. Das an- und abschwellende Heulen war das einzige Geräusch bis auf den Klang der Schritte, als Raymond Lazare auf der Bühne zum Vorstandstisch ging. Der Bankier zog den schwach pulsierenden Datenstick, auf dem Li Deng Tsetung und die Mitglieder des Konsortiums gespeichert waren, aus einem Laptop und steckte ihn in die Tasche. Die Leinwand war jetzt leer, aber Ella hatte das Gefühl, noch immer die Stimme des Chinesen zu hören.

    Â»Haben Sie das gesehen?«, rief Lazare ihr vom Bühnenrand aus zu. »Die ganze Welt hat es gesehen. Die ganze Welt weiß es jetzt. Morgen wird keiner vom Konsortium mehr auf seinem Stuhl sitzen, und Li Deng Tsetung wird in der Verbannung sterben.«
    Â»Aber ihre Stühle bleiben, und andere werden darauf Platz nehmen«, sagte Ella, »so wie auf Ihrem.«
    Â»Auf meinem?«
    Ella hielt sich mit einer Hand an der Rückenlehne des Sitzes gleich neben ihr fest. »Sie haben allen etwas vorgespielt – Madeleine Schneider, Ihrem Neffen, Ihren Freunden Forell und Barrault, mir, Ihren Aktionären, der ganzen Welt! Jedem etwas anderes. Sie haben den Geläuterten gespielt, den die Begegnung mit der Vergangenheit seiner Familie auf den Weg des Anstands zurückgeführt hat und der die Schuld seines Urgroßvaters sühnen will.«
    Sie sah, wie Mado sich näherte, um besser hören zu können, und sie redete weiter. »Sie haben den Erzengel gespielt, der den Kampf mit dem Drachen aufnimmt, um die Welt vor dem Bösen zu bewahren. Aber es hätte gar keiner Schlacht bedurft, das alles hier wäre gar nicht nötig gewesen. Ich kenne jetzt den wirklichen Grund, aus dem Sie diese Aufnahmen nicht früher verbreitet haben, warum Sie den Stick nicht längst eingesetzt haben, bevor seinetwegen all diese Menschen sterben mussten.«
    Sie ließ die Lehne los, weil sie ihre Hände zum Reden brauchte, wenn sie sehr wütend war. »Nicht, weil niemand die Aufnahmen veröffentlich hätte. Auch nicht, weil sie nur glaubwürdig gewesen wären, wenn Sie leibhaftig dafür bürgen. Sondern aus reiner Eitelkeit. Sie wollten den großen Auftritt, um sich bei dieser Hauptversammlung von ihren Aktionären und den Medien feiern zu lassen. Sie wollten nicht die Demokratie, nicht die Menschen Europas schützen, sondern Ihre Konkurrenten
auf der europäischen Bühne ausschalten und sich dazu auch noch als Retter vor der chinesischen Bedrohung feiern lassen.«
    Â»Stimmt das, Monsieur Lazare?«, fragte Mado.
    Erst jetzt schien der Bankier zu erkennen, um wen es sich bei der jungen Frau handelte, die hinter Ella stand. Er trat noch näher an den Bühnenrand, um besser sehen zu können. »Mademoiselle Schneider? Madeleine?«
    Â»Stimmt es, Monsieur Lazare? Haben Sie mir und allen anderen etwas vorgespielt?«
    Â»Nein.« Mit vorsichtigen Schritten verließ Lazare die Bühne, die linke Hand gegen die Schusswunde an seiner Schulter gepresst. »Nein, so ist es nicht, Madeleine.« Er freute sich, tatsächlich, er freute sich. »Wie schön, Sie wiederzusehen. Es tut mir so leid, dass ich Sie in Gefahr gebracht
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