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Erich Kastner

Erich Kastner

Titel: Erich Kastner
Autoren: Der 35.Mai oder Konrad reitet in die Sudsee
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zu. Erst als Konrad meinte, es solle sich was schämen, machte es die Augen langsam
wieder auf.
»Kippen Sie bloß nicht aus dem Fenster«, warnte Ringelhuth.»Das fehlte gerade noch, daß ein Pferd aus
meiner Wohnung auf die Johann-Mayer-Straße
runterfällt!«
Negro Kaballo sagte: »Wissen Sie, unsereins hat so selten Gelegenheit, aus dem dritten Stockwerk zu sehen.
Aber jetzt geht es schon. Trotzdem wäre ich Ihnen
dankbar, wenn Sie mich in die Mitte nehmen wollten.
Besser ist besser.«
Das Pferd postierte sich nun also zwischen Onkel und
Konrad, steckte den Kopf weit aus dem Fenster und fraß
vom Balkon des Nachbarn zwei Fuchsien und eine
Begonie mit Stumpf und Stiel. Nur die Blumentöpfe ließ
es freundlicherweise übrig.
Plötzlich gab es auf der Straße einen Heidenlärm. Da
stand nämlich ein kleiner kugelrunder Mann, wedelte mit
Armen und Händen, strampelte mit den fetten Beinchen
und schrie wie am Spieß. »Das geht entschieden zu
weit!« kreischte er aufgebracht. »Augenblicklich nehmen
Sie das Pferd aus dem Fenster! Kennen Sie die
Hausordnung noch immer nicht? Wissen Sie nicht, daß es
verboten ist, Pferde mit in die Wohnung zu bringen?
Was?«
»Wer ist denn der Knirps?« fragte Konrad.
»Ach, das ist bloß mein Hauswirt«, antwortete Onkel
Ringelhuth, »Clemens Waffelbruch heißt er.«
»So eine Unverschämtheit Ihrerseits«, schrie der kleine
dicke Herr Waffelbruch. »Die Blumen, die diese Schindmähre von Lehmanns Balkon widerrechtlich entfernt und
gefressen hat, werden Sie gefälligst ersetzen. Kapiert?« Da lief dem Pferd ein Schauder übers schwarze Fell.
Hoho, beleidigen ließ es sich nicht! Es kriegte einen der
leergefressenen Blumentöpfe zu fassen und ließ ihn senkrecht aus dem Fenster fallen. Der Blumentopf sauste, als
habe er’s außerordentlich eilig, abwärts und bumste dem
schreienden Hauwirt mitten auf den steifen Hut. Herr Clemens Waffelbruch knickte in die Knie, schwieg verdutzt,
blickte wieder nach oben, zog seinen demolierten Hut und
sagte zitternd: »Nichts für ungut.«
Dann stolperte er rasch ins Haus.
»Wenn der Kerl nicht gegangen wäre«, sagte das Pferd,
»hätte ich ihm nach und nach den ganzen Balkon auf den
Hut geschmissen.«
»Das wäre mir entschieden zu teuer geworden«, meinte
Onkel Ringelhuth. »Gehen wir lieber wieder ins Zimmer!«
Negro Kaballo wieherte belustigt. Und dann spazierten
sie ins Zimmer zurück und spielten zu dritt Dichterquartett. Das Pferd gewann, wie es wollte. Es kannte alle klassischen Namen und Werke auswendig. Onkel Ringelhuth
hingegen versagte völlig. Als Apotheker, der er war,
wußte er zwar, was für Krankheiten die Dichter gehabt
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    hatten, und womit sie kuriert worden und woran sie gestorben waren. Aber ihre Romane und Dramen hatte er samt und sonders verschwitzt. Es ist kaum zu glauben: doch er behauptete tatsächlich, Schillers »Lied von der Glocke« sei von Goethe!

    Mit einem Mal sprang Konrad hoch, warf seine Quarettkarten auf den Tisch, rannte zum Bücherschrank, riß die Tür auf, holte ein dickes Buch aus der obersten Reihe, setzte sich auf den Teppich und blätterte aufgeregt.
    »Wir möchten nicht aufdringlich sein«, sagte der Onkel, »aber vielleicht erklärst du uns, warum du einfach vom Tisch fortrennst und uns im Stich läßt? Übrigens fehlt mir noch ein Lustspiel von Gotthold Ephraim Lessing. Ich weiß nur, daß Lessings Frau, eine gewisse Eva König, kurz nach der Geburt eines Kindes starb, und das Kind starb ein paar Tage später, und Lessing selber lebte dann auch nicht mehr lange.«
    »Ein Lustspiel ist das grade nicht, was Sie uns da mitteilen«, bemerkte das Pferd spöttisch. Dann preßte es sein Maul an Onkel Ringelhuths Ohr und wisperte: »Minna von Barnhelm.«
    Der Onkel schlug ärgerlich auf den Tisch. »Nein! Eva König hieß die Frau, nicht Minna von Bornholm.«
»Kruzitürken!« brummte der Gaul. »Minna von Barnhelm war doch nicht Lessings Frau, sondern sein Lustspiel hieß so.«
»Aha!« rief Ringelhuth. »Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Konrad, rück mal die Minna von Bornholm raus!«
    Konrad saß auf dem Teppich, blätterte in dem Buch und schwieg.
    »Möchten Sie meinen Herrn Neffen mal mit einem wohlgezielten Huf schlag aus seinem Anzug stoßen?« fragte Ringelhuth seinen vierbeinigen Gast. Da trottete das Pferd zu Konrad hinüber, packte ihn mit den Zähnen an seinem Kragen und hob ihn hoch in die Luft. Aber Konrad merkte gar nicht, daß er nicht mehr auf dem Teppich saß. Sondern er
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