Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erich Kastner

Erich Kastner

Titel: Erich Kastner
Autoren: Der 35.Mai oder Konrad reitet in die Sudsee
Vom Netzwerk:
zu

    zucken«, meinte der Onkel. »Wie schmeckt’s, junger Freund?«
    »Scheußlich schön«, gab Konrad zur Antwort.
»Tja, man muß sich abhärten«, bemerkte der Onkel. »Als Soldaten bekamen wir Nudeln mit Hering und als Studenten Reis in Sacharin gekocht. Wer weiß, was man euch, wenn ihr groß seid, zumuten wird. Drum iß, mein Junge, bis dein Magen Hornhaut kriegt!« Und damit goß er ihm noch einen Löffel Himbeersaft über den Fleischsalat.
Nach dem Essen guckten sie erst eine gute Viertelstunde aus dem Fenster und warteten, daß ihnen schlecht würde. Aber es wurde nichts daraus. Und dann turnten sie. Der Onkel bugsierte den Neffen auf den großen Bücherschrank, und Konrad machte dort oben den Handstand. »Moment«, sagte Ringelhuth, »bleib mal ‘ne Weile verkehrt herum stehen.« Er ging ins Schlafzimmer, brachte sein Federbett angeschleppt und legte es vor den Bücherschrank. Dann kommandierte er: »Hoppla!«, und Konrad sprang in der Hocke vom Schrank herunter aufs Federbett, das am Boden lag.
»Großartig!« rief der Onkel, nahm ein wenig Anlauf und sauste in der Grätsche längs über den Tisch. Unmittelbar danach hörten sie unter sich einen dumpfen Knall und anschließend viel Geklirr. Und der Onkel sagte ergriffen: »Das war Mühlbergs Kronleuchter.«

    Sie warteten ein paar Minuten, aber es klopfte niemand, und es klingelte auch nicht.
»Wahrscheinlich sind Mühlbergs nicht zu Hause« meinte Konrad.
Und dann klingelte es doch! Der Junge rannte hinaus, öffnete und kam blaß zurück. »Das große schwarze Pferd steht draußen«, flüsterte er.
»Herein damit!« befahl Onkel Ringelhuth. Und der Neffe ließ das Tier eintreten. Es zog den Strohhut und fragte: »Stör ich?«
»Kein Gedanke!« rief der Onkel. »Bitte, nehmen Sie Platz.«
»Ich stehe lieber«, sagte das Pferd. »Fassen Sie das nicht als Unhöflichkeit auf, aber wir Pferde sind zum Sitzen nicht eingerichtet.«

    »Ganz wie Sie wünschen«, meinte der Onkel. »Darf ich fragen, was uns die Ehre Ihres Besuches verschafft?«
Das Pferd blic kte die beiden mit seinen großen ernsten Augen verlegen an.
»Sie waren mir von allem Anfang an so sympathisch«,
    sagte es.
»Ganz unsererseits«, erwiderte Konrad und verbeugte
sich. »Haben Sie übrigens immer noch Appetit auf Würfelzucker?« Er wartete keine Antwort ab, sondern sprang
in die Küche, holte die Zuckerdose ins Zimmer, legte ein
Stück Zucker nach dem anderen auf die Handfläche, und
das Pferd fraß, ohne abzusetzen, zirka ein halbes Pfund.
Dann atmete es erleichtert auf und sagte: »Donnerwetter
noch mal, das wurde aber höchste Zeit! Besten Dank,
meine Herren. Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle, ich
heiße Negro Kaballo! Ich trat bis Ende April im Zirkus
Sarrasani als Rollschuh-Nummer auf. Dann wurde ich
aber entlassen und habe seitdem nichts mehr verdient.« »Ja, ja«, sagte Onkel Ringelhuth, »es geht den Pferden
wie den Menschen.«
»Diese verflixten Autos!« fuhr Negro Kaballo fort.
»Die Maschinen richten uns Pferde völlig zugrunde.
Denken Sie nur, ich wollte mich sogar als Droschkengaul
vermieten, obwohl ich ja eigentlich ein Pferd mit
Gymnasialbildung bin. Aber nicht einmal der
Generalsekretär vom Fachverband der Droschkenpferde
konnte mich unterbringen.
Und das ist bestimmt ein einflußreiches Pferd. Im übrigen
fährt dieses Rhinozeros von einem Gaul selber Auto!« »Unter solchen Umständen braucht man sich freilich
über gar nichts mehr zu wundern«, erklärte Onkel Ringelhuth kopfschüttelnd.
»Sie sind ein netter Mensch«, sagte das Pferd gerührt
und schlug ihm mit dem linken Vorderhuf auf die
Schulter, daß es nur so krachte.
»Aua!« brüllte Ringelhuth.
Konrad drohte dem Rappen mit dem Finger. »Wenn
Sie mir meinen Onkel kaputtmachen«, rief er, »kriegen
Sie’s mit mir zu tun.«
Das Pferd schob die Oberlippe zurück, daß man das
weiße Gebiß sehen konnte, und lachte lautlos in sich hinein. Dann entschuldigte es sich vielmals. Es sei nicht so
gemeint gewesen.
»Schon gut«, sagte Onkel Ringelhuth und rieb sich das
Schlüsselbein. »Aber das nächste Mal müssen Sie etwas
vorsichtiger sein, geschätzter Negro Kaballo. Ich bin
keine Pferdenatur.«
»Ich werde aufpassen«, versprach der Rappe, »so wahr
ich der beste internationale Rollschuh-Akt unter den Säugetieren bin!«
Und dann guckten sie alle drei zum Fenster hinaus. Das
Pferd bekam, als es auf die Straße hinuntersah, plötzlich
einen Schwindelanfall, wurde vor Schreck blaß und Klappte die Augendeckel
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher