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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind
Autoren: Robert Holdstock
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sah fast obszön aus – den Schnee ausz u spucken schien, der zwischen ihr und den hinübe r starrenden Menschen lag.
    „Wir brauchen etwas zu essen“, sagte Iondai. „Es ist ein la n ger Marsch – wir brauchen Wärme und Essen.“
    „Hier gibt es Weißflügler“, sagte Darren. „In der Nacht habe ich sie gehört, und heute früh habe ich sie gesehen. Wenn ich Glück habe, kann ich einen fangen.“
    „Womit denn?“ fragte Elspeth und starrte zur Höhle. Auch sie war scheußlich hungrig. Schmerzhaft zog sich ihr Magen z u sammen, ihr ganzer Körper schrie nach Nahrung und Wä r me; etwas ruhiger als vorhin am frühen Morgen bekämpfte sie den Impuls, über das Schneefeld zur Höhle zu rennen. Sie set z te sich auf dem gefrorenen Boden zurecht und machte sich daran, einen einfachen Windschirm zu ba u en.
    „Mit Schnelligkeit“, erläuterte der junge Mann. „Die Wei ß flügler kennen nicht den Menschen und seine Listen. Man muß nur schnell sein.“
    „Ich komme mit“, sagte Moir.
    „Ich gehe allein“, wies ihr Bruder sie ab. Elspeth hatte keine Lust, sich noch lange Streitereien anzuhören, und schrie wütend: „Geht zusammen, ihr Dummköpfe! Hört g e fälligst auf, euch zu streiten!“
    Darren rannte los durch den Schnee, und Moir eilte ihm nach. Sie verschwanden in der Ferne hinter dem Hang.
    Iondai und Elspeth warteten. Mit geschlossenen Augen hie l ten sie sich umschlungen und versuchten, durch ihren Willen die Kälte abzuhalten, doch sie froren jämmerlich.
    Es war ihnen, als seien schon Stunden vergangen, und immer noch war von den beiden jungen Aerani nichts zu sehen. Gewal t sam riß Elspeth ihre Gedanken vom Erdwind los. Unve r mittelt überkam sie eine Welle der Unruhe, ein schreckliches Vorgefühl, daß etwas nicht in Ordnung sei.
    Und dann hörte sie aus der Ferne einen furchtbaren Schrei, als würde ein Mensch grausam getötet …
    Augenblicklich war sie auf den Füßen und rannte durch den Schnee – bei jedem Schritt roch sie Blut und Tod.
    Ein Gesicht starrte sie an, ein Mund öffnete sich in lautl o ser T o desqual … Blut auftreibendem Schnee. Sie lief über einen Grat und blieb stehen.
    Ein paar Yards weiter zerrte Moir ein Kristallmesser aus e i nem Loch in Darrens Schädel, dicht über den Augen. Sie blickte hoch, als sie Elspeth kommen sah, und hielt eine S e kunde lang inne; schlaff und leer hing der Beutel an ihrem Hals … (Darrens Me s ser? Hatte sie das Initiationsgeschenk ihres Br u ders gestohlen?) Dann riß und ruckte sie wieder an dem Messer, bis es freikam. Darren krümmte sich und zuc k te noch einmal kurz auf; dann lag er still. Seine Augen star r ten nach oben, der Mund stand offen.
    Moir stand über dem Leichnam und sah Elspeth an.
    Elspeth schrie auf; Wut und Trauer gaben ihrem Schrei einen unirdischen Klang. Sie rannte durch den Schnee zu dem Toten hin. Moir fuhr herum und floh, in der Annahme, Elspeth wolle sich auf sie stürzen; rutschend und gleitend rannte sie berga b wärts, bis sie nicht mehr zu sehen war.
    Elspeth nahm Darren in die Arme und weinte bittere Tr ä nen. Fest hielt sie ihn an sich gepreßt und versuchte, etwas von ihrer eigenen Körperwärme in den erstarrenden Leic h nam überzuleiten. Wieder und wieder rief sie ihn beim N a men; und erst als Iondai sie am Arm zog, löste sie sich von dem toten Ju n gen.
    Der Tote behielt seine sitzende Stellung, doch sank der Oberkörper zurück in den Schnee, die Knie blieben angez o gen und sta n den hoch. Seine Haut unter der Behaarung war eisig blau, sie fühlte sich kalt und knochenhart an.
    „Ich habe es kommen sehen“, sagte Iondai. „Ich habe g e sehen, daß es so kommen mußte.“
    „Ich habe niemals geglaubt … nie …“
    „Komm weiter. Wir haben noch einen langen Weg bis zur Höhle, wo wir geschützt sind.“
    „Du hast es gewußt!“ schrie sie den Seher an. „Du hast gewußt, daß sie auf diese Weise zur Kriegerin werden würde – warum hast du ihn nicht gewarnt? Du hast es gewußt!“
    „Was hätte er schon tun können? Komm weiter, Elspeth – bitte!“
    Doch sie schüttelte den Kopf und kniete weiter bei dem Ju n gen, der sie so geliebt hatte.
     
     
    Die Zeit verstrich. Der Himmel wurde immer bedrohl i cher, und schließlich fing es heftig an zu schneien; ein di c kes Schneelaken deckte den Toten zu und Elspeth auch, die i m mer noch steif und starr bei Darren kniete. Trauer und Angst mischten sich in ihr, doch ihrem Gesicht war nichts von be i dem anzusehen, so kalt und tot
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