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ePub: Ashes, Ashes

ePub: Ashes, Ashes

Titel: ePub: Ashes, Ashes
Autoren: Jo Treggiari
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Bellen noch weitere Hunde herbeigeschossen. In ihren Augen spiegelte sich das Mondlicht und von ihren Lefzen tropften zähe Speichelfäden herab. Lucy überlegte, ob sie vielleicht die Tollwut hatten.
    »Lehn dich zurück«, meinte Aidan. Er war so still gewesen, dass Lucy schon gedacht hatte, er sei eingeschlafen. Wütend sah sie ihn an.
    »Eine Weile werden wir noch hier festsitzen«, stellte er fest und rappelte sich hoch. Er stand jetzt auf dem Ast, hielt sich perfekt im Gleichgewicht und streckte ihr seine Hand entgegen. Unten, am Boden, drehten die Hunde schon wieder durch. Sie sprangen in die Höhe und kratzten am Baumstamm.
    »Oh, nein ...« Schon bei dem Gedanken, sich zu bewegen, wurde Lucy ganz schummrig.
    »Ich will dir etwas zeigen. Da oben«, sagte Aidan und änderte ohne Mühe und ohne sich festhalten zu müssen, seine Position auf dem Ast. Er trug bunt bemalte Baseballschuheund seine Füße schienen die Baumrinde geradezu greifen zu können. Lucys schwere Stiefel hingen wie Gewichte an ihren Füßen. Ihre verletzte Hand schmerzte entsetzlich, als sie sie versuchsweise schloss.
    »Angst?«, fragte er.
    Sie stellte sich vor, wie sie ihn hinabstieß oder ihm die Beine wegtrat.
    »Ich doch nicht«, antwortete sie und biss die Zähne zusammen. Vorsichtig begab sie sich in die Hocke, hielt sich dabei mit der einen Hand an einem Ast über ihrem Kopf fest und umklammerte mit der anderen den Griff ihres Messers umso fester. Aidans ausgestreckten Arm ignorierte sie. Daraufhin schob er die Hand lässig in seine Jeanstasche, wie um sie zu reizen, und begann nach oben zu klettern. Er bewegte sich mit einer Leichtigkeit, die Lucy vor Wut erröten ließ. Mit dem Daumen rieb sie über den Messergriff. Ihr Magen zog sich zusammen, und sie spürte, wie ihr die Galle hochkam. Sie biss sich heftig auf die Lippe und zwang sich, nach oben zu sehen, dorthin, wo Aidan stand, den Kopf von frischen grünen Blättern gekrönt. Nicht nach unten! Nicht nach unten blicken! , sagte sich Lucy streng. Dieser Aidan war ein Blödmann, und er durfte auf keinen Fall bemerken, wie viel Angst sie hatte. Ihr fiel wieder ein, wie sie einmal im Park ihrem kleinen Bruder Rob über einen umgestürzten Baum nachgelaufen war, obwohl ihr die Knie ganz weich geworden waren. Einfach nur, weil er sie geärgert hatte. Sie hatte ihn tatsächlich eingeholt, ihn zu Boden gerungen und ihm händeweise modriges Laub ins Hemd gesteckt.
    Aidan lief locker bis zum Ende des Astes und zog sich von dort auf den nächsten Ast, der ungefähr auf Höhe von Lucys Brust war. Lucy sah zu, wie er sich hinaufschwang. Langsam richtete sie sich auf. Über ihr waren jede Menge Zweige, an denen sie sich festhalten konnte. Sie war mit ihrer Leistung ganz zufrieden, doch als sie nach oben zu klettern begann, zwang sie eine winzige Unsicherheit, ein falsch aufgesetzter Fuß, noch einmal kurz in die Knie zu gehen und sich an den Stamm zu klammern. Zum Glück kam sie schnell wieder hoch, bevor Aidan es bemerkte. Erst im Weiterklettern fiel ihr auf, dass ihre Höhenangst vom Ärger und dem brennenden Verlangen, diesem fremden Jungen zu beweisen, dass sie zäher war, als er jemals sein könnte, unterdrückt wurde. Es war ein mächtiger Baum. Er hatte starke Äste und eine Rinde, die glatt genug war, dass die Füße nicht hängen bleiben konnten, andererseits aber rau genug, um ihnen Halt zu geben. Aidan kletterte voraus und Lucy folgte ihm bis fast in die Krone hinauf. Hier wurde das Geäst dünner. Lucy griff nach ein paar Zweigen, die sich als Halt anboten, und fühlte sich ein wenig sicherer. Hier oben war die Luft merklich kühler und sie zog ihre Kapuze über den Kopf. Dass ihm die Kälte absolut nichts auszumachen schien, ärgerte sie ebenfalls.
    »Und was soll hier so besonders ...«, begann sie. Aber dann hielt sie den Atem an. Sie befanden sich oberhalb der Nebelbank. Unter ihnen, nach Westen hin, lagen das struppige Buschland, das Watt, die Salzmarschen und dahinter die weiten Wasser der Hudson See. Nach Süden hin, unter dem tief hängenden Mond, auf einem schmalen Streifen Fels und Erdreich, lagen eingestürzte Wolkenkratzer wie Reihen um Reihen umgefallener Dominosteine, zusammen mit Gebirgszügen zerstobener Betonbauten und Stahlträger, die an kaputte, zerklüftete Zähne erinnerten. Was für eine aberwitzige Skyline! Voll schräger Winkel und jäh abfallender Schluchten, ohne jegliche Symmetrie. Dies alles wirkte längst nicht mehr wie von menschlicher Hand
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