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ePub: Ashes, Ashes

ePub: Ashes, Ashes

Titel: ePub: Ashes, Ashes
Autoren: Jo Treggiari
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geschaffen. Die neuen Gebäude aus Holz, die sich auf den kleinen Erhebungen zeigten, sahen aus, als würden sie von der nächsten kräftigeren Brise einfach umgepustet. Und im Osten schimmerte der Harlem-See wie die Silhouette eines ausgebeulten Weihnachtsstrumpfs, wobei die Spitze den südlichsten Teil des Kaps umgab, auf dem sie sich befanden.
    Mit einem Mal schien Lucys Brustkorb zu klein für ihre Lunge zu sein. Aus dieser Entfernung gesehen, war die Verwüstung einfach überwältigend. Eine ganze Stadt war dem Erdboden gleichgemacht. Einige Gebäude waren durch die unvorstellbaren Kräfte der Orkane und Erdbeben zerstört worden, andere durch die Bombardierungen der eigenen Leute. Tief unter dem Schutt, dem Mauerwerk und den verbogenen Metallstreben lagen Millionen von Menschen begraben, die innerhalb von Stunden erkrankt und gestorben waren. Sie waren von den zwei Epidemiewellen regelrecht dahingemäht worden.
    »Sieht aus wie ein riesiger Friedhof.«
    »Das macht es leichter zu vergessen, dass man da mal gelebt hat«, meinte Aidan.
    »Ja«, stimmte Lucy nachdenklich zu. »Ich hatte es schonfast vergessen.« Ohne darüber nachzudenken, verlagerte sie ihr Gewicht und griff nach einem anderen Ast, um den Halt zu wahren. Die Schmerzen, die ihre linke Hand durchpochten, als sie sie streckte, ignorierte sie. In ihrem Unterschlupf, auf ihrem von Matsch und Wasser umschlossenen Stückchen Erde, war sie sich vorgekommen wie in der Wildnis – während sie in Wirklichkeit nur wenige Meilen von den Überresten ihres alten Daseins entfernt lebte.
    Aidan deutete nach Osten, über das Watt hinweg. »Guck mal da.«
    Lucy konnte nur verschwommen Umrisse eines Fleckchens Erde mitten im See erkennen, eine schmale Insel. Sie war vielleicht ein paar Meilen lang. Eine dunkle Silhouette zeichnete sich gerade noch erkennbar vor dem blauschwarzen Himmel ab. Ein merkwürdiger Turm – ein Achteck oder ein Sechseck. Oben auf der Spitze blinkte ein rotes Licht.
    »Was ist das?«
    »Das ist Roosevelt Island.«
    Der Name weckte eine Erinnerung in Lucy, aber sie konnte sie nicht einordnen.
    »Von da kommen deine Sweeper. Aus der Anstalt .«
    An den Turm schloss sich ein flaches, rechteckiges Gebäude an, von dem nur die Umrisse auszumachen waren. Licht brannte dort keines. Lucy konnte aber erkennen, dass es sich um ein massives, wehrhaftes Bauwerk handelte.
    »Das Krankenhaus«, sagte Aidan.
    Und plötzlich fiel Lucy alles wieder ein.
    Sie griff nach ihrem Messer. Ein eisiger Schauder krochihr den Rücken hinunter. Sie erinnerte sich an die ständigen Nachrichtensendungen und die Massenhysterie, die jede von ihnen nach sich gezogen hatte. Auf dieser Insel lag das Krankenhaus für die Pocken-Kranken. Von dort waren zu Beginn der Epidemie Berichterstattungen und Warnungen an die Bevölkerung gesendet worden. Als sich die Seuche immer weiter ausbreitete, versiegten die Meldungen zwar plötzlich, doch jeder, der ein bisschen gesunden Menschenverstand hatte, musste nur die Augen offen halten, um festzustellen, dass die meisten Leute, mit denen man Tag für Tag zu tun hatte, krank wurden – egal, was die Medien von erfolgreichen Impfungen und öffentlichen Kontrollen erzählten. Die Liveberichte mit besonnenen Ärzten in weißen Kitteln und hübschen, lächelnden Krankenschwestern verschwanden und wurden durch vorgefertigte Aufrufe der Regierung ersetzt.
    Das Wenige, was Lucy über die S’ans und die Gefahren der Welt wusste, in der sie jetzt lebte, hatte sie aus den frühen Nachrichtensendungen – einer Mischung aus Regierungsverlautbarungen und gezielter Desinformation. »Bleiben Sie zu Hause! Vermeiden Sie Menschenansammlungen! Informieren Sie Ihren Arzt über Symptome!« Dazu flimmerte die ganze Zeit die Telefonnummer der Epidemie-Hotline, bei der man die Erkrankung von Nachbarn und Freunden anzeigen konnte, über den Bildschirm. Die Gefahrenstreife, hieß es, patrouilliere ununterbrochen und sondere Infektionsnester aus, befallene Vögel und andere Tiere – und auch Menschen, die zu krank waren, um sich selbstständig ins Krankenhaus zu begeben. Die weißen Vans, die durch die Wohnviertel kreuzten, wurden ein gewohntes Bild, genau wie die Leute in den weißen Schutzanzügen. Dennoch brachte ihr Anblick Lucy jedes Mal aus der Fassung.
    Nachdem weite Teile der Stadtbevölkerung von der Krankheit infiziert waren, gaben die meisten Leute die Hoffnung auf, von offizieller Seite irgendetwas zu erfahren, was der Wahrheit nahe kam, und
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