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Entschuldigen Sie Meine Stoerung

Entschuldigen Sie Meine Stoerung

Titel: Entschuldigen Sie Meine Stoerung
Autoren: Jan-Uwe Fitz
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zu Fuß.«
    »Aber warum sind Sie wie von der Tarantel gestochen aus dem Haus gerannt?«
    »Damit mich niemand zurückhält.«
    »Warum sollte Sie jemand zurückhalten?«
    »Weiß ich nicht«, gestehe ich. Da hat der Taxifahrer den Finger in die Wunde gelegt. »Ist so ein Impuls. Ich laufe immer ganz schnell weg, sobald ich die Tür erreicht habe. Vielleicht eine genetische Disposition.«
    »Gehen Sie häufiger auf Partys?«
    »Nein. Aber wenn, dann sehr früh nach Hause.«
    »Wenn ich etwas zu feiern habe, bin ich froh um jeden Gast, der früher geht. Von mir aus auch gern heimlich. Ich käme nie auf die Idee, dem hinterherzurennen und ihn aufzuhalten.«
    »Sie sind kein Maßstab. Taxifahrer sind alle Misanthropen.«
    »Sind Sie vielleicht prominent? Oder besonders reich? Möchten die Gastgeber sich womöglich in Ihrem Glanz sonnen? Sind Sie besonders beliebt?«
    »Hm … Woran erkennt man das denn?«
    »Wenn Sie auf einen Menschen zugehen: Freut der sich?«
    »Nicht besonders.«
    »Ich bin mir sicher: Niemand holt Sie zurück. Sie können ganz entspannt nach Hause gehen.«
    Wir fahren einige Sekunden lang schweigend durch die Nacht.
    »Warum sagen Sie Ihren Gastgebern nicht einfach, dass Sie Angst vor Menschen haben – und Schluss. Die haben bestimmt Verständnis und lassen Sie nach Hause gehen. Oder Sie müssen gar nicht erst kommen.«
    »Einmal habe ich das tatsächlich getan.«
    »Und wie hat der Gastgeber reagiert?«
    »Nicht sehr nett. Er hat umgehend die anderen Gäste zusammengetrommelt und mich vor ihnen verhohnepiepelt. Nee, nee. Ich verlasse Partys lieber heimlich. Das kann ich wie kein Zweiter. Eben auf der Party bin ich einfach unter einen Sessel geschlüpft und habe mich langsam zur Tür bewegt.«
    »Hat sich niemand gewundert?«
    »Ich bin sehr unauffällig gekrochen.«
    »Also, wäre ich Gast auf der Party gewesen, hätte ich mir gedacht: ›Was macht denn der Sessel dort? Der wandert ja zur Tür? Steckt da jemand drunter?‹ Dann würde ich ihn anheben und darunterlugen.«
    »Ha! Ich treffe natürlich Vorbereitungen. Vor einer Einladung bringe ich die Namen aller Gäste in Erfahrung und sende ihnen anonym Informationsmaterial zu, das die von mir geplanten seltsamen Ereignisse im Rahmen meiner Flucht rational erklärt.«
    »Hä?«
    »Gestern habe ich allen Gästen des heutigen Abends E-Mails geschickt, in denen von einer deutlichen Zunahme wandernder Sessel die Rede war.«
    »Sie betreiben einen ziemlichen Aufwand für zehn Minuten Party.«
    »Soll ich meine Flucht etwa dem Zufall überlassen?«
    »Trotzdem: Ich würde mich wundern, wenn ein Sessel an mir vorüberzöge.«
    »Nicht, wenn Sie vorher gelesen haben, dass das heutzutage völlig normal ist. Die Menschen sind so leicht manipulierbar. Sie nehmen selbst die hanebüchensten Ereignisse schnell als gottgegeben hin, solange man es ihnen nur geschickt genug verkauft. Schauen Sie sich zum Beispiel mal einen Reißverschluss an. Das Ding ist ein gottverdammtes Wunder. Aber niemand wundert sich mehr darüber. Weil er mittlerweile gang und gäbe ist. Oder ein Regenschirm. Ein Regenschirm ist auch ein Wunder.«
    »Wieso ist ein Regenschirm ein Wunder?«
    »Sie haben recht. Ein Regenschirm ist kein Wunder«, räume ich ein.
    Wir schweigen wieder eine Weile.
    »Und wenn jemand die E-Mail nicht gelesen hat?«, wendet er ein.
    »Irgendjemand auf der Party hat sie garantiert gelesen. Und der wird alle anderen überzeugen.«
    »Vielleicht haben Sie recht«, grübelt er. »Ich muss mir das gerade mal vorstellen: Ich stehe also mit einem anderen Gast auf einer Party. Ein Sessel zieht an uns vorüber. Ich wundere mich und frage meinen Gesprächspartner ›Zieht da gerade ein Sessel an uns vorüber?‹, und der beruhigt mich mit ›Ach das? Ist mir gar nicht mehr aufgefallen. Davon liest man doch heutzutage ständig.‹ Hm, Sie haben recht. Dann würde ich nicht mehr neugierig daruntergucken.«
    »Und wenn ich mit dem Sessel an der Tür angekommen bin, krabble ich schnell hervor und renne aus der Wohnung.«
    »Aber ich bleibe dabei: Sie sind ein seltsamer Gast.«
    »Und Sie sind ein beknackter Taxifahrer. Man kann es sich eben nicht aussuchen«, entgegne ich, beleidigt ob des geringen Verständnisses, das der Mann für mich aufbringt.
    »Bringen Sie denn ein Geschenk mit, wenn Sie nur so kurz auf der Party bleiben?«, lässt er nicht locker.
    »Natürlich. Das gehört sich doch so. Meine Kinderstube ist tiptop.«
    »Wollen Sie hören, was ich über Sie
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