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Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)

Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)

Titel: Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)
Autoren: Karim Miské
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Brisbane in Australien ausgegeben. In einem Toilettenhäuschen an der Porte Maillot haben sie ihr Äußeres verändert. Susan trug anschließend eine rote Perücke, James einen falschen, an Trotzki erinnernden Bart und eine Brille mit Schildpattgestell. Wenn sie Vignola eliminiert haben, müssen sie sich nur noch einmal verändern, eine andere Identität annehmen und einen Nachtzug nach Madrid nehmen, von wo aus der Flug nach Guatemala startet. In Belize schließlich wird Dov auf sie warten. Im Moment allerdings sind sie damit beschäftigt, in ihrem Zimmer im Hotel d’Aquitaine die Inszenierung vorzubereiten, auf die Susan so großen Wert legt. Im Grunde ist es nichts Neues, sondern einfach nur das typische, aus dem Ruder gelaufene SM-Spielchen. In ihrem Rollenkoffer befinden sich Latexklamotten, Handschellen, Peitsche, Maske und Knebel.
    Punkt drei steht Vincenzo vor der Tür. Als Susan öffnet, ist er hingerissen von dem, was er sieht. Die Frau, in deren Hände er sein Schicksal gelegt hat, steht als Domina vor ihm, die Augen sind hinter einer venezianischen Halbmaske verborgen. Die Läden sind hinuntergelassen. Nur eine Nachtleuchte erhellt das Zimmer. An der hinteren Wand hängt ein Lederseil.
    Vignola weiß längst Bescheid. Genau deswegen ist er hier. Er sehnt sich danach, durch ihre Hand zu sterben, und empfindet die Vorstellung nicht etwa als trivial, sondern im Gegenteil als schön. Was ein wenig verwunderlich ist in diesem Ein-Stern-Hotel mit der verblichenen Tapete. Nachdem Susan ihren Liebhaber gefesselt und ihm die Lederschlinge um den Hals gelegt hat, steckt sie ihm eine Godzwill in den Mund. Erst dann knebelt sie ihn. In Büchern und im Internet hat Susan schon oft gelesen, dass Strangulation den Genuss unglaublich steigern kann. Das wollte sie schon immer mal herausfinden. Nicht an sich selbst, sondern an einem ihrer männlichen Gespielen. Leider kann Vincenzo Vignola die Intensität seiner Gefühle durch das Zusammenspiel von Sex, Droge und Strangulation nicht ausdrücken, denn er ist geknebelt. Diese Vorsichtsmaßnahme jedoch ist unumgänglich, da die Hotelzimmer sehr hellhörig sind. Aber seinen Blick – den wird sie nie im Leben vergessen. Der Mann scheint sämtliche Wunder des Königreichs von Jehova zu sehen.

48
    Ahmed und Mohamed haben Monsieur Paul geholfen, Kisten nach oben und dafür andere nach unten zu tragen. Der Buchhändler ist sehr zufrieden, dass sein Geschenk sich als nützlich erwiesen hat. »Oh ja, auch den Toten muss man richtig begegnen. Sie sind manchmal Furcht erregender als die Lebenden.« Alle fünf Minuten wirft Ahmed einen Blick auf das Display seines Handys, als bestünde überhaupt die Möglichkeit, dass er es nicht hätte läuten hören. Mohamed und Monsieur Paul sehen sich an und lachen. Ahmed ignoriert sie. Er hat es eilig, nach Hause zurückzukehren und den versprochenen Besuch zu erwarten.
    Als sie vor dem Gitter seines Wohnhauses stehen, verspürt Ahmed plötzlich ein merkwürdiges Gefühl im Nacken. Er dreht sich um und entdeckt auf der anderen Straßenseite eine vertraute, massige Gestalt. Es ist das Bild all seiner Ängste. Der Grund für fünf Jahre Herumirren und Sicheinschließen. Mohamed versteht sofort. Er hält Ahmeds Arm zurück, der instinktiv in der Tasche seines Cousins nach der Glock greifen will.
    »Du bist verrückt, Ahmed. Der Mann da ist ein Mörder. Du hingegen bist ein Träumer und ein menschliches Wesen.«
    Raymond Meyer hat sich in die Betrachtung von Lauras Balkon verloren. Als ob sich dort oben ein inzwischen unerreichbares Geheimnis befindet. Etwas Seltsames und Wunderbares, von dem er sich heute verabschieden muss. Er senkt den Blick und entdeckt zwei junge Araber, die ihn anstarren. Einer der beiden ist fast schwarz. An den kann er sich undeutlich erinnern. Sie wissen. Sie wissen alles. Aber sie werden nichts tun, weil sie gerne leben. Er könnte jetzt die Straße überqueren und sie auslöschen. Einfach so, mit sechs Messerstichen. Die Straße ist voller Menschen. Viel zu viele Menschen. Und im Viertel sind auch zu viele Bullen, die Ausschau nach ihm halten. Es ist Zeit, zu verschwinden. Woanders hinzugehen, wo das Gras vielleicht grüner ist. Und Meyer lächelt. Er lächelt, verbeugt sich und verschwindet. Ahmed sagt sich, dass es vermutlich so sein muss. Er hat getan, was er konnte. Er hat die Ermittlungen überstanden. Für Laura. Aber er ist kein Superman. Nur ein Mensch. Ein Träumer. Und das Böse wird weiter in der Welt
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