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Entfesselte Energien (Band 1)

Entfesselte Energien (Band 1)

Titel: Entfesselte Energien (Band 1)
Autoren: Paul Collmann
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Mund: „ Wie kannscht so garschti zu dem Kindle schpreche !“
    Tess lächelte der Mutter liebreich zu, nicht einmal rot war sie geworden von der Szene. „Lass nur, Mami!“, sagte sie.
    Das schien auch der Baron gehört zu haben, er schwieg sofort und warf einen Blick auf die Tochter, aus dem Staunen , Bewunderung und – Entsetzen sprach. Diese Jugend war unangreifbar, wie die Luft; man hätte wütend werden müssen über sie, wenn sie nicht gleichzeitig licht und strahlend gewesen wäre wie der helle Sonnenschein. Er stand eine Weile unschlüssig, als ob er nicht wüsste, ob er sie ins Gesicht schlagen oder in die Arme schließen sollte.
    Die Mutter sah das, schaute den einen und schaute den anderen an, dann schob sie die Tochter sanft hinaus und näherte sich ihrem Gatten. Scharf sah sie ihm ins Auge, während sie ihm zuraunte: „Soll ich dir mal was sagen, Wolf!“
    „ Han ?“ Jetzt verfiel auch er ins Schwäbeln.
    „ Du kannst dich bedanke bei dem Mädel!“
    „ Was meinst?“
    „ Warum isch se wohl rausgange ?“
    „ Na??“
    „ Weil se dir de Blamasch erspare wollt! – Weil du stecke bliewe bischt in der Red’; ihr isch gar net schlecht gewes. “
    Der Baron senkte den Kopf . – Dann ging er ans Fenster und trommelte in tiefen Gedanken an die Scheiben. Eine Weile ließ sie ihn gewähren, dann ging sie hin und nahm seinen Arm. „Komm, Alter, sei jetzt gut zu ihr! Sie ist’s wert.“
    Als die beiden Eltern wieder in den Balls aal kamen, fanden sie die Schwestern des Barons nicht mehr vor. Nachdem die strengen Wächterinnen über Tugend und Sitte ihre schwere Pflicht erfüllt hatten, hielten sie wohl ihre fernere Anwesenheit bei dem Fest nicht mehr für notwendig. Die anderen auch nicht! Es herrschte jetzt große Fröhlichkeit in dem Saal, vor allem wurde das Wiedererscheinen Tessis mit großem Jubel aufgenommen. Aber Tess selbst lächelte nur ein klein wenig darüber; irgendwie stimmte die laute Freude nicht zu dem, was eben in ihrem Inneren vorging. Mitten im Tanz musste sie einmal fast laut aufseufzen, das Verhältnis zu ihrem Vater machte ihr Sorge; ihre Wege gingen immer weiter auseinander, in ganz verschiedene Welten hinein. Darum kam sie aber den anderen im Saale nicht näher. O gar nicht! Sie sah in das Gewoge – die alle dort, die sich da festlich ergingen, waren sich einig, sie verstanden sich, sie waren zusammengeschlossen in einen großen Ring. Nur sie stand außerhalb. Plötzlich überkam sie eine große Sehnsucht und sie sagte vor sich hin: Morgen fahre ich nach Tübingen zurück.
    Aber das war doch nicht so leicht, wie sie sich ’s im Augenblick dachte; es war hier noch manches abzuwickeln. Sie sah Tänzer auf sich zukommen. Ehe noch einer sie auffordern konnte, lief sie geschwind zur Großmutter hinüber, kuschelte sich an ihre Seite und streichelte ihr die lieben, welken Hände. Sie, die Gute, strich ihr einmal zart über die goldenen Haare. Aber dann musste sie doch zum Tanzen gehen, die Großmutter selbst mahnte dazu.
    Der Tanz dauerte bis in den Morgen stunden hinein, todmüde von dem ungewohnten Nachtwachen, von Tanz, Wein und Aufregung begab sich Tess in ihr Turmzimmer, wo sie fast bis zum Mittag schlief. Als sie sich wieder unten zeigte, rief die Mutter sie zu einer Unterredung in des Vaters Arbeitszimmer. Das Herz klopfte ihr, als der Vater, im Beisein der Mutter, sie auf einen Stuhl nötigte und gewichtige Papiere aus den innersten Fächern seines Schreibtisches heraus kramte.
    „Marie-Therese begann er“, fremd und sachlich, „du bist im vorigen Oktober 21 Jahre alt geworden und damit hast du, wie dir wohl bekannt ist, die ‘‘Großjährigkeit’’ erreicht. Ich brauche dir nicht zu sagen, welche Rechte für dich damit verbunden sind – nicht zu vergessen aber auch, welche Pflichten!“
    Bei diesen Worten richtete sich das Antlitz des Vaters, das bisher tief über die Papiere gebeugt g ewesen war, plötzlich auf, der Kneifer fiel wie von selbst herab und ein strenger, forschender Blick traf die Tochter. Eine leichte Röte hatte sich auf ihre Wangen gelegt, das Herz klopfte und ihr Blick war fragend und unsicher. Sie wusste nicht, warum man sie in eine solche Lage brachte, die sie seit ihren Backfischjahren, seit den letzten dummen Streichen und den väterlichen Strafen, die darauf folgten nicht mehr erlebt hatte. Hatte sie etwa gestern wieder einen dummen Streich gemacht? Möglich, dass der Vater es so auffasste, seine strenge Amtsmiene schien dafür zu sprechen.
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