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Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Titel: Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)
Autoren: Sonia Mikich
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Landschaften, ab und zu eine Tür, durch die ich Entsorgungsvorgänge, geheimnisvolle Apparate sehe. Ich werde am urologischen Arbeitsplatz in einem Souterrain-Raum abgestellt. Es erscheint Dr. S. Vielleicht hat ihn die Einsamkeit des Souterrains gesprächig gemacht, jedenfalls folgt eine Brandrede gegen die Diagnose-Fähigkeiten anderer Fachabteilungen:
    Nierenbeckenerweiterung? Soso. ICH bin der Uro. Ich kann beurteilen, was da bei Ihnen vorliegt. Die Zeiten sind vorbei, dass die Chirurgen sagen, wo es langgeht. Die haben so eine Folie, wonach sie denken und handeln und glauben, immer Recht zu haben. Aber ICH bin der Uro und weiß, was mit Nieren ist, und ich sage Ihnen, ob da ein Abflusshindernis oder sonst etwas ist …
    Folie? Uro? Ich, die Patientin, denke an Dr. Jekyll und Mr. Hyde – und möchte fliehen.
    Die Chirurgen können bei einer Bauchoperation nämlich die Ureter verletzen, alles schon passiert. Und wie oft schicken die Leute runter, denen ICH dann sagen muss, dass sie Krebs haben.
    Ich fange an zu weinen, meine Nerven liegen blank. Eine weitere Sonografie, er erzählt noch etwas von Folien und Denkweisen und Chirurgen-Dünkel. Dann bin ich entlassen und nicht klüger als vorher, aber verschreckter.
    Meinem Hausarzt wird folgender Befund geschrieben:
    (…) Das notfallmäßig durchgeführte CT des Abdomens zeigte ein entzündliches Konglomerat der Dünndarmschlingen im rechten Mittelbauch mit angrenzender Flüssigkeit. In diesen Prozess waren die entzündlich veränderte Gallenblase sowie der Musculus psoas inklusive des rechten Ureters einbezogen. Die rechte Niere zeigte sich zunehmend gestaut. (…) Zur genauen Abklärung des Harnstaus erfolgte die Vorstellung der Patientin in der Urologie H. Hier wurde am 22.06.11 die zystoskopische Anlage eines D-J-Katheters rechts durchgeführt.
    Am 22. Juni also werde ich zum Partnerkrankenhaus gefahren, um dort eine Harnleiterschiene, ein Doppel-J, zwischen Niere und Blase eingesetzt zu bekommen. Um den Stau im Nierenbecken loszuwerden, sei das nötig.
    Es kann sonst zu einem Funktionsausfall der Niere kommen. Muss nicht, kann aber. Sie wollen doch nicht die Niere verlieren.
    Nein, ich will keine Niere verlieren. Aber auch nicht den Verstand. Warum addieren sich die Komplikationen? Beim Eingriff ein Augenblick der Menschlichkeit. Da ist ein Anästhesist, Dr. L., der mich nicht vor Organverlust, Krebs, Depressionen warnt, sondern mich einfach in den Dämmer hineinsingt.
    Oh Danny Boy, the Pipes are calling.
    Das schöne, irische Liebeslied. Ich staune und schlafe ein.
    Die Chirurgen machen meine Niere für alles Böse verantwortlich, die Urologen kritisieren die Kollegen von der anderen Disziplin. Jede Fachabteilung beharrt auf ihrer Deutungshoheit, die Meinung anderer ist Beigabe, auch Störfaktor. Allmählich fahre ich jeden weißen Kittel an. Bei einer morgendlichen Visite bemerkt Professor T.:
    Sie haben aber auch viele Baustellen …
    Vor der ganzen Runde verliere ich die Fassung:
    Kümmern Sie sich dann um Ihre Baustelle, nicht um die der anderen. Oder kommt der nächste Eingriff, wenn Sie an meiner Leber etwas finden? Und wenn Ihnen meine Gallenblase missfällt, muss auch operiert werden? Und wenn mein Knie juckt, komme ich auch unters Messer?
    Überdiagnostiziert, übertherapiert. Irgendwann gebe ich auf, mir fällt kein Gegenargument mehr ein. Irgendwann weine ich nur noch gegen das System. Nosokomiophobie heißt das in der Fachsprache. Angst vor dem Krankenhaus. Ein wohlmeinender Assistenzarzt schlägt vor, einen Psychiater vorbeizuschicken:
    Sie sind wohl traumatisiert …
    Natürlich bin ich traumatisiert, was auch sonst? Aber einen Psychiater brauche ich nicht. Wie geht es wohl Patienten, die keinen Besuch bekommen, weil Angehörige und Freunde weit entfernt leben? Die sich Fachbegriffe nicht merken können? Was geht in einem Kranken vor, der nicht Deutsch spricht?
    Die Tage und Nächte vergehen mit Blutabnahmen, Chefvisiten, Fernsehen. Der Aufenthalt wird nebenbei zu einer Studie des TV -Angebots in Deutschland mit mir als einziger Versuchsperson. Das Ergebnis: Die Programme sind bevölkert von weißen Kitteln, ob Fakt oder Fiktion. Besonders in den »frauenaffinen«, quotenstarken Serien. In aller Feindschaft: Ab ins Krankenhausbett, ihr Programmplaner und Produzenten! In euren Werken wird – Unterhaltung hin, Ablenkung her – der Zuschauer verblödet. Ich ersticke fast an der heilen und sterilen Krankenhauswelt, die da vorgelogen wird. Dass
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