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Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Titel: Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)
Autoren: Sonia Mikich
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es, aus meiner Sicht, dass der Markt in existentiellen Bereichen der Daseinssicherung besser funktioniert als das Gemeinwesen. Der Staat kann menschenfreundlichere Maßstäbe für unsere Grundbedürfnisse anbieten als eine Aktionärsversammlung. Bildung, Gesundheit, aber auch Wasser, Strom oder eine gute Umwelt gehören in ein anderes Bewertungssystem. Quer durch alle Schichten reagieren inzwischen viele Menschen allergisch darauf, dass bei erfreulichen Wirtschaftsdaten und sinkenden Arbeitslosenzahlen die Schere zwischen »Haben« und »Nicht-Haben« weiter auseinandergeht. Sie sind nicht mehr gleichgültig, wenn es nur für wenige die superhohen Gehälter, die aussichtsreichste Ausbildung, die beste Medizin gibt. Sie stoßen sich an Raffgierigen und Lügnern. Sie zweifeln die Botschaften der asozialen Marktwirtschaft an: Ihr sollt kuschen! Ihr sollt konsumieren! Zu diesem Zweifel dürfen Journalisten gern beitragen.
    Die Defizite im Gesundheitswesen werden von den Playern und ihren Interessensvertretern selten freiwillig zugegeben. Eingelullt in der jahrzehntealten Gewissheit, dass alle denken, das deutsche System sei ganz gut und im Übrigen sehr komplex, akzeptieren sie keine schmerzhafte Kritik. Wer von Werten oder Ethos spricht, gilt als vorgestrig, muffig. Wer auspackt, als unkollegial. Wer nicht auf Profitmaximierung schielt, als realitätsfern. Aber gerade im Gesundheitswesen wären Störenfriede effektiv. Verändern, nicht verharren: Störenfriede widersprechen dem Anliegen mächtiger Gruppen und Eliten, die Welt in ihrem Sinne interpretieren zu lassen. Und als Kind meiner Zeit halte ich weiterhin die Erkenntnis hoch, dass das Private politisch ist.
    Ja, ich nehme fehlendes Einfühlungsvermögen, das einem buchhaltergesteuerten Zeitdruck geschuldet ist, persönlich. Da schreibt ein Arzt, wie in einem Krankenhaus eine Patientin zur ambulanten Chemotherapie kommt und – bekannte Reaktion – sich wieder und wieder übergeben muss. Die Patientin bekommt keinen Raum zugewiesen, sondern sitzt auf dem Flur – mit Publikumsverkehr. Andere gehen vorbei, während sie elendig speit. Ihre Spuckschüssel wird ihr nicht abgenommen, nicht ausgewechselt. Seit Jahren bessert sich nichts an diesem so leicht korrigierbaren Missstand. Ja, da möchte ich mehr als Querulantin sein. Da möchte ich empfehlen, der Krankenhausverwaltung vor die Bürotür zu kotzen. Ein Frauenarzt bringt mir ein neues Wort bei: Nosokomiophobie. Er benutzt das Wort bei Brustkrebspatientinnen, die für die Chemotherapie ins Krankenhaus gehen:
    Die unausweichliche Angst vor dem ebenso unausweichlichen Erbrechen, das mit der Medikamenteneingabe einherging, führte dazu, dass viele der bedauernswerten Frauen bereits am Eingang der Klinik mit Übelkeit und Erbrechen begannen. Die sich selbst erfüllende Prophezeiung: »Ich werde mich hier bald wieder übergeben …« hatte diesen psychologisch ausgelösten Effekt.
    Die Menschen, die dieses Buch in mein Leben gespült hat, sähe ich gern zusammen an einem Tisch. Arzt, Pfleger, Patient, Anwalt, Wissenschaftler, Engagierter, Seelsorger, Angehörige – eine etwas andere Zusammensetzung als die üblichen Round Tables der Institutionen oder Branchen. Sie müssten den gesellschaftlichen Auftrag haben, neu zu definieren, was Gesundheit ist, nämlich keine Ware. Und wie eine medizinische Daseinsvorsorge aussehen könnte, die sich von Marktmechanismen befreit. Sie dürften Ansprüche formulieren, was das Zeug hergibt.
    Kurz vor Manuskriptabgabe bekomme ich Post von M. B.; sie ist Pädagogin, im Internet finde ich ihr Foto, sie hat Feuer in den Augen, sie strahlt. Der Frau, die mir Anfang Januar gegenübersitzt, steht ein großer Kummer in den Gesichtszügen; sie reißt sich sichtlich zusammen, um die Geschichte ihrer Tochter C. zu erzählen. Burnout, nicht enden wollende Bauchschmerzen, ein gewaltiger Gewichtsverlust standen am Anfang der medizinischen Behandlungen. C. mäanderte in einer Großklinik zwischen der internistischen Station und der Station von Essstörungen, dazwischen die Psychiatrie.
    Die Tochter hatte ein glänzendes Medizinexamen abgelegt, hatte schon promoviert, war angehende Krankenhausärztin, und sie verzweifelte dann am eigenen Fachwissen und am System, dem sie so gern in ihrem Traumberuf als Rechtsmedizinerin angehören wollte. Ich lese die Eigendiagnose der jungen Ärztin, mit unsteter Hand geschrieben:
    … Durch den Anamnesebogen sowie die aktuellen ärztlichen Diagnosen wird meine
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