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Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Titel: Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)
Autoren: Sonia Mikich
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Fallpauschalensystems zum Aufgeben zu zwingen und darüber eine »Marktbereinigung« durchzusetzen, ist gescheitert. Eine Diskussion darüber scheint jedoch tabu; in allen Papieren, die derzeit in den Parteien im Umlauf sind, wird das Thema ausgespart. Es gilt in einem Wahljahr offenbar immer noch als politischer Selbstmord. Der CDU -Bundestagsabgeordnete Lothar Riebsamen wagte als Einziger, dieses heikle Thema öffentlich anzusprechen, als er darauf hinwies, dass in Deutschland bis zu 400 Kliniken überflüssig seien und dass die Länder ihre Finanzmittel für Investitionen doch an den Abbau dieser Überkapazitäten knüpfen sollten.
    Doch ist es wirklich so unmöglich, den Bürgern zu erklären, dass die Gesundheitsversorgung in jedem Krankenhaus besser sein könnte, wenn die Bundesländer die ohnehin knappen Finanzmittel für Investitionen in neue Gebäude auf weniger Kliniken konzentrieren könnten? Dass »weniger« wie so häufig in der Medizin »mehr« ist? Dass es sinnvoll wäre, das Überangebot an Krankenhäusern vor allem in den Städten abzubauen? Dass sich die Krankenhäuser dann nicht mehr ein sinnloses »Wettrüsten« liefern müssten, um am Markt bestehen zu bleiben? Ein klassisches Beispiel dafür ist das Operieren von Prostatakrebs mit einem Operationsroboter. Weil bei den robotergestützten Operationen angeblich weniger Männer mit schlimmen Nebenwirkungen wie Impotenz und Inkontinenz rechnen müssen, haben immer mehr Kliniken in Deutschland dieses teure Gerät angeschafft, in der Hoffnung, dass die Patienten sich nun in ihrer Abteilung operieren lassen und nicht in einem Nachbarkrankenhaus. Faktisch sind jetzt viel zu viele dieser Geräte in den Krankenhäusern aufgestellt, müssen ausgelastet werden, damit sich die Anschaffungskosten wieder amortisieren, und treiben so die Operationszahlen in die Höhe. Dabei ist bis heute nicht endgültig geklärt, ob tatsächlich weniger Patienten nach dieser robotergestützten Operation impotent und inkontinent sind. Und fraglich ist auch, ob das Herausoperieren von Prostatakrebs im Frühstadium – darum geht es in vielen Fällen – den Patienten wirklich nutzt, und ob es nicht besser wäre, abzuwarten und diesen extrem langsam wachsenden Tumor zu überwachen anstatt gleich zum Skalpell zu greifen.
    Solche Beispiele kennen die meisten Politiker allzu gut. In vertraulichen Gesprächen, in nichtöffentlichen Sitzungen gibt es darüber auch keinen Dissens. Warum werben dann nicht mehr Gesundheitspolitiker öffentlich für mehr Vernunft in der Krankenhauspolitik? Der Bund könnte die Länder per Gesetz verpflichten, eine neue Bedarfsplanung aufzustellen, über die Ländergrenzen hinweg. Er könnte Kriterien vorgeben, wie eine solche Planung auszusehen hat. So machtlos, wie der Bund sich gibt, ist er nicht, auch wenn die Zuständigkeit für Krankenhausplanung formal bei den Ländern liegt.
    Außerhalb der Politik gibt es viele, die diesen Missstand seit Jahren kritisieren. Dazu zählt Rüdiger Strehl, Repräsentant der deutschen Universitätskliniken. Ein hochgewachsener Mann Mitte sechzig, ein Insider. Über ein Jahrzehnt war er kaufmännischer Vorstand des Universitätsklinikums Tübingen, danach Chef des Verbands der Unikliniken. Jetzt geht er in den Ruhestand. Er kritisiert, dass die Politik dem Wettbewerb zwischen den Kliniken zuviel Raum lasse, Planung zu gering schätze und immer noch darauf setze, dass der Markt die hochgerüsteten Krankenhauskapazitäten schon »bereinigen« werde. »Warum benutzen die Politiker nicht ihren Kopf und die Daten, die wir haben, warum sollen wir das dem Markt überlassen?«, fragt er. »Jedes Krankenhaus strampelt sich ab, spart sich halbtot und der Leidtragende ist der Patient.« Er hat mit vielen Abgeordneten aus dem Gesundheitsausschuss des Bundestags gesprochen. Mit den meisten gab es keinen großen Dissens. Aber immer wieder hörte er den Satz: »Das ist sachlich richtig und überzeugend, aber politisch nicht durchsetzbar.« Rüdiger Strehl war nach den Gesprächen ziemlich frustriert. »Dieser Satz von Politikern sollte verboten werden«, sagt er.
    Die den Grünen nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung hat ebenfalls eine gesundheitspolitische Kommission einberufen. Der Bericht ist bereits fertig. Mitten im Karneval, am Rosenmontag, wurde er in Berlin vorgestellt. Das Interesse daran war enorm, der große Saal der Heinrich-Böll-Stiftung platzte aus allen Nähten. Wer allerdings auf Antworten zu den Fehlanreizen im
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