Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engelsstimme

Engelsstimme

Titel: Engelsstimme
Autoren: Arnaldur Indridason
Vom Netzwerk:
hinter ihm ertönte.
    »Also hör mal, so geht es nun wirklich nicht. Das ist nicht gestattet!«
    Erlendur drehte sich um, und ein Mann mit einer ausladenden Küchenchefmütze auf dem Kopf trat mit finsterer Miene dicht an ihn heran.
    »Was soll das heißen, hier am Büfett sich einfach was mit den Fingern in den Mund zu stopfen? Was sind das denn für Sitten?«
    »Reg dich ab«, sagte Erlendur und nahm sich einen Teller. Er begann, sich diverse Köstlichkeiten aufzuladen, als hätte er genau das von vornherein vorgehabt.
    »Hast du den Weihnachtsmann gekannt?«, fragte er, um von der Rinderzunge abzulenken.
    »Den Weihnachtsmann?«, sagte der Koch. »Was für einen Weihnachtsmann? Ich wollte dir nur sagen, dass du das Essen nicht mit den Pfoten anrührst. Das gehört …«
    »Guðlaugur«, unterbrach Erlendur ihn. »Hast du ihn gekannt? Er war auch Portier und dann wohl auch so was wie ein Faktotum hier im Hotel, wenn ich es richtig verstanden habe.«
    »Du meinst Gulli?«
    »Ja, Gulli, wenn das sein Spitzname war«, sagte Erlendur und legte eine ordentliche Scheibe kalten Schinken mit etwas Joghurtsauce auf seinen Teller. Er überlegte, ob er Elínborgs Meinung zu diesem Büfett einholen sollte, sie verstand wirklich etwas von guter Küche und sammelte schon seit Jahren Rezepte für ein Kochbuch.
    »Nein, ich …, was meinst du mit ›Hast du ihn gekannt‹?«, fragte der Koch.
    »Du weißt also noch nichts davon?«
    »Wovon? Was ist eigentlich los?«
    »Er ist tot. Ermordet. Hat sich das noch nicht im Hotel herumgesprochen?«
    »Ermordet?«, ächzte der Koch. »Ermordet! Was, hier im Hotel? Und wer bist du eigentlich?«
    »In seinem Kabuff da unten im Keller. Ich bin von der Polizei.«
    Erlendur lud sich weitere Köstlichkeiten auf den Teller. Der Koch hatte die Rinderzunge vergessen.
    »Wie wurde er ermordet?«
    »Dazu kann ich nichts sagen.«
    »Hier im Hotel?«
    »Ja.«
    Der Koch blickte sich um.
    »Das kann ich einfach nicht glauben«, sagte er. »Das wird bestimmt das ganze Haus auf den Kopf stellen.«
    »Genau«, erwiderte Erlendur. »Und zwar total.«
    Er wusste, dass dieser Mord an dem Hotel kleben bleiben würde. Es würde diesen Stempel nie wieder loswerden. Es würde von jetzt an das Hotel sein, in dem der Weihnachtsmann ermordet und mit einem Kondom am Schwanz aufgefunden worden war.
    »Hast du ihn gekannt?«, fragte Erlendur. »Diesen Gulli?« »Nein, eigentlich kaum. Er war Portier und hat außerdem alle möglichen Kleinigkeiten gefixt.«
    »Gefixt?«
    »Repariert. Ich habe ihn überhaupt nicht gekannt.«
    »Weißt du vielleicht, wer ihn hier im Hotel am besten gekannt hat?«
    »Nein«, sagte der Koch. »Ich weiß nichts über diesen Mann. Wer kann ihn ermordet haben? Hier im Hotel? Herrgott noch mal.«
    Erlendur war klar, dass er sich wegen des Hotels mehr Sorgen machte als wegen des Ermordeten, und er war drauf und dran, ihn darauf hinzuweisen, dass der Mord auch mehr Hotelgäste anlocken konnte. Heutzutage dachten die Leute so. Sie könnten womöglich mit dem Mordschauplatz Werbung für das Hotel machen und sich auf Kriminaltourismus spezialisieren. Er hielt sich aber zurück, denn er sehnte sich danach, sich mit dem Teller irgendwo hinzusetzen und zu schlemmen. Einen Augenblick Ruhe zu haben.
    In diesem Moment erschien Sigurður Óli auf der Bildfläche.
    »Habt ihr was gefunden?«
    »Nein«, sagte Sigurður Óli und betrachtete den Koch, der sich jedoch schleunigst mit diesen Neuigkeiten in die Küche verzog.
    »Und du futterst jetzt einfach?«, fügte er vorwurfsvoll hinzu.
    »Mensch, komm mir jetzt bloß nicht mit so einem Quatsch. Ich hatte hier ein kleines Problem.«
    »Dieser Mann da unten hat nichts besessen, oder falls er etwas besessen hat, hat er es nicht in diesem Kellerloch aufbewahrt«, sagte Sigurður Óli. »Elínborg hat im Schrank alte Schallplatten gefunden. Das war das Einzige. Müssen wir nicht das Hotel schließen?«
    »Das Hotel schließen, was soll denn der Blödsinn?«, entgegnete Erlendur. »Wie willst du das überhaupt anfangen, so ein Hotel dichtzumachen? Und wie lange willst du das durchhalten? Du willst womöglich jedes Zimmer von einem Suchtrupp durchforsten lassen?«
    »Nein, aber der Mörder könnte ein Hotelgast sein. Das muss man in Betracht ziehen.«
    »Reine Spekulation. Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder ist er im Hotel, als Gast oder Angestellter, oder er steht in keiner Verbindung zum Hotel. Wir werden wohl mit dem gesamten Personal und all den Gästen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher