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Engelsstimme

Engelsstimme

Titel: Engelsstimme
Autoren: Arnaldur Indridason
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wieder lockte, schaute ihn fragend an.
    »Ähm, wo wirst du eigentlich Weihnachten feiern?«, fragte Sigurður Óli schließlich verlegen.
    »Weihnachten?«, sagte Erlendur. »Ich bin … was meinst du eigentlich, wo ich Weihnachten feiere? Was geht dich das an?«
    Sigurður Óli zögerte einen Moment, bevor er das Risiko einging.
    »Bergþóra hat überlegt, ob du wohl allein sein wirst.«
    »Eva Lind hat irgendwelche Pläne. Was meint Bergþóra eigentlich? Dass ich zu euch kommen soll?«
    »Ach, ich hab keine Ahnung«, sagte Sigurður Óli. »Frauen! Die sind einfach nicht zu begreifen!« Dann stiefelte er wieder hinunter in den Keller.
    Elínborg stand vor dem Raum des Ermordeten und sah den Leuten von der Spurensicherung bei der Arbeit zu, als Sigurður Óli in dem dunklen Gang auftauchte.
    »Wo ist Erlendur?«, fragte sie und leerte die Erdnusstüte.
    »Beim Weihnachtsbüfett«, schnaubte Sigurður Óli.
     
    Ein provisorischer Labortest, der später am Abend durchgeführt wurde, ergab, dass das ganze Kondom voller Speichelreste war.

Drei
    Die Spurensicherung hatte sich mit Erlendur in Verbindung gesetzt, sobald sich herausgestellt hatte, dass man den genetischen Fingerabdruck hatte. Erlendur befand sich immer noch im Hotel. Der Tatort glich zeitweilig einem Fotostudio. Blitze beleuchteten den dunklen Gang in regelmäßigen Abständen. Die Leiche wurde aus allen Perspektiven fotografiert, ebenso all die Gegenstände, die in Guðlaugurs Zimmer waren. Der Tote wurde anschließend in das Leichenschauhaus am Barónsstígur gebracht. Das Zimmer des Portiers war auf Fingerabdrücke untersucht worden, von denen eine ganze Menge zutage kamen. Sie wurden jetzt mit dem Fingerabdruckarchiv der Polizei verglichen. Fingerabdrücke wurden vom gesamten Personal genommen. Diese Mitteilung aus dem Labor bedeutete außerdem, dass von allen Speichelproben entnommen werden mussten.
    »Aber was ist mit den Hotelgästen?«, fragte Elínborg. »Müssen wir das nicht auch bei denen machen?«
    Sie sehnte sich danach, ihre Schicht zu beenden und nach Hause zu kommen; sie bereute es, gefragt zu haben. Elínborg feierte Weihnachten ausgiebig und genoss es, die ganze Familie um sich zu haben. Sie dekorierte ihr Zuhause mit Zweigen und Flitterkram, backte viele Sorten köstlicher Plätzchen, die sie in sorgfältig beschrifteten Tupperdosen aufbewahrte. Ihr weihnachtliches Festessen genoss auch außerhalb der Familie einen legendären Ruf. Das Hauptgericht war jedes Jahr ein schwedischer Weihnachtsschinken, den sie zwölf Tage auf ihrem Balkon in einer Marinade ziehen ließ und mit so viel Hingabe umsorgte, als wäre es das in Windeln gewickelte Jesuskind.
    »Ich glaube, dass wir davon ausgehen können − das ist jedenfalls mein Eindruck −, der Mörder ist Isländer«, sagte Erlendur. »Die Hotelgäste können wir erst mal hintanstellen. Das Hotel ist jetzt zu Weihnachten voll und kaum jemand reist ab. Wir knöpfen uns natürlich diejenigen vor, die vorhaben abzureisen, von ihnen nehmen wir Speichelproben und auch Fingerabdrücke. Wir können jedoch nicht verhindern, dass sie das Land verlassen, da müsste schon ein sehr starker Tatverdacht gegen sie vorliegen. Und wir brauchen eine Liste über diejenigen Ausländer, die sich zum Zeitpunkt des Mordes im Hotel befanden, die später Angekommenen können wir beiseite lassen. Versuchen wir, das Ganze möglichst umkompliziert anzugehen.«
    »Aber wenn die Sache nicht so unkompliziert ist?«, fragte Elínborg.
    »Ich glaube nicht, dass irgendeiner von den Hotelgästen weiß, dass hier ein Mord verübt wurde«, warf Sigurður Óli ein, der ebenfalls nach Hause wollte. Seine Frau Bergþóra hatte ihn am späten Nachmittag angerufen und gefragt, ob er nicht bald käme. Jetzt sei genau der richtige Augenblick, und sie würde ihn erwarten. Sigurður Óli wusste sofort, was mit dem richtigen Augenblick gemeint war. Sie versuchten, ein Kind zu bekommen, aber es wollte einfach nicht klappen. Sigurður Óli hatte Erlendur erzählt, dass sie eine künstliche Befruchtung in Erwägung gezogen hätten.
    »Musst du dann so ein Röhrchen abgeben?«, hatte Erlendur gefragt.
    »Röhrchen?«
    »So ein Reagenzglas, meine ich. Morgens.«
    Sigurður Óli hatte Erlendur angestarrt, bis ihm endlich aufging, was Erlendur meinte.
    »Ich hätte dir das nie erzählen sollen«, war seine genervte Reaktion gewesen.
    Erlendur nippte an einem scheußlich schmeckenden Kaffee. Sie saßen zu dritt im Kaffeeraum fürs Personal
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