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Engelsmorgen

Engelsmorgen

Titel: Engelsmorgen
Autoren: Lauren Kate
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Zeugin sie in Sword & Cross gewesen war, vergaß sie, wenn auch nur für einen Moment. Sie wusste genau, was sie wollte. Sie stürmte auf die einzige Person zu, in deren Macht es lag, sie wieder mit sich und der Welt zu versöhnen. Die einzige Person, die ihr das Gefühl gab, dass es trotz all des Grauens, das sie durchgestanden hatte – die Schatten, die gespenstische Schlacht auf dem Friedhof, vor allem aber, und das war am schlimmsten, der Tod ihrer Freundin Penn –, ein Leben danach gab.
    Da war er.
    Er saß genauso da, wie sie es sich ausgemalt hatte. Auf dem letzten Stuhl mehrerer Reihen trauriger grauer Plastikstühle. Hinter ihm öffnete und schloss sich unablässig eine automatische Schiebetür. Eine Sekunde lang stand Luce still und nahm seinen Anblick in sich auf.
    Daniel trug Flipflops, eine dunkelblaue Jeans und ein rotes T-Shirt, das sie noch nie an ihm gesehen hatte. Eng umspannte es seinen muskulösen Oberkörper. Er sah aus wie der Daniel von Sword & Cross, den sie kannte, und doch ganz anders. Außerdem wirkte er auch viel relaxter als bei ihrem Abschied vor ein paar Tagen. Kam es nur daher, dass sie ihn so stark vermisst hatte, oder ging von ihm tatsächlich ein noch viel stärkeres Strahlen aus, als sie in Erinnerung hatte? Er blickte auf – und da bemerkte er sie endlich. In seinem Gesicht breitete sich ein strahlendes Lächeln aus.
    Sie rannte auf ihn zu. Eine Sekunde später lagen sie sich in den Armen. Daniel schlang seine Arme fest um sie. Luce schmiegte sich an ihn und gab einen langen, tiefen Seufzer von sich. Dann hob sie ihr Gesicht zu ihm hoch und sie küssten sich. Sie versanken beide in diesem Kuss, der eine Ewigkeit dauerte. Luce schmolz in seinen Armen dahin. Sie spürte, wie sie ganz weich wurde. Sie war glücklich.
    Sie hatte es sich bis jetzt nicht eingestehen wollen, aber ein Teil von ihr hatte daran gezweifelt, ob sie ihn tatsächlich wiedersehen würde, ob das alles nicht nur ein Traum gewesen war. Die Liebe, die sie spürte, die Liebe, die Daniel erwiderte, das alles fühlte sich so unwirklich an. So überirdisch schön.
    Noch während sie sich küssten, kniff Luce Daniel in den Arm. Diese Muskeln waren wirklich. Das war kein Traum. Das erste Mal seit sehr, sehr langer Zeit fühlte sie sich zu Hause. Angekommen.
    »Du bist da«, flüsterte er ihr ins Ohr.
    »Du bist da.«
    »Wir sind beide hier.«
    Sie lachten leise, küssten sich erneut, und allmählich löste sich die anfängliche Befangenheit, die sie beide bei ihrem Wiedersehen verspürt hatten, in zärtliches Gelächter auf. Doch dann, als Luce es am wenigsten erwartete, brach auf einmal ein Schluchzen aus ihr heraus. Sie hätte Daniel so gern gesagt, wie schwer die letzten Tage für sie gewesen waren – die Tage ohne ihn, vollkommen einsam und verlassen auf der kleinen Insel, in der Fischerhütte, so erschöpft, dass sie der Schlaf immer wieder überwältigte, und zugleich hellwach, im Bewusstsein, dass sich alles verändert hatte. Doch jetzt, in seinen Armen, fand sie nicht die rechten Worte dafür.
    »Ich weiß, ich weiß«, sagte er. »Lass uns erst mal raus hier.« Er blickte sie fragend an. »Wo hast du dein Gepäck?«
    Luce zuckte erschrocken zusammen, da sah sie auch schon ihren Sitznachbarn aus dem Flugzeug vor ihr stehen. Mit beiden Händen hielt er die Gurte ihres schweren Seesacks umklammert. »Ich hab den ein paar Mal auf dem Gepäckband die Runde machen sehen«, sagte er mit einem bemühten Lächeln, wie um ja keinen Zweifel an seinen freundlichen Absichten aufkommen zu lassen. »Der gehört doch dir, oder?«
    Bevor Luce antworten konnte, hatte Daniel den Jungen schon von dem unhandlichen Gepäckstück befreit. Er hängte sich den Seesack schwungvoll über die Schulter. »Danke, Mann. Ab hier übernehme ich«, sagte er. Womit klar war, dass er keine Fortsetzung des Gesprächs wünschte.
    Der Junge wurde stummer Zeuge, wie Daniel den anderen Arm um Luce legte und dann mit ihr davonging. Es war das erste Mal seit Sword & Cross, dass Luce Daniel so sah, wie alle Welt ihn wahrnahm; es war das erste Mal, dass sie sich fragte, ob fremde Menschen, die nichts von ihm wussten, wohl ahnten, dass an ihm etwas ganz Außergewöhnliches war.
    Sie gingen gemeinsam durch die Schiebetür nach draußen und Luce machte ihren ersten tiefen Atemzug an der Westküste. Die Luft hier war frisch und prickelnd und irgendwie gesund, nicht feucht-kalt wie in Savannah, als sie dort am Nachmittag losgeflogen waren. Der Himmel war von
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