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Engelsfluch

Engelsfluch

Titel: Engelsfluch
Autoren: Joerg Kastner
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sein linkes Bein unter dem Knie zerfetzt. Mit einer Prothese hatte er wieder zu gehen gelernt, und die Polizei setzte ihn nun vornehmlich zu Unterrichtszwecken und für Sonderaufgaben ein. Vor drei Monaten hatte er sich für Alexander und Elena als unschätzbare Hilfe erwiesen. Er hatte auf der Seite von Papst Custos gestanden und geholfen, alle Anschläge auf den neuen Papst und sein Pontifikat abzuwehren. Das große Kruzifix im Altarraum der Kirche war blutverschmiert. Mit all dem Blut sah die geschnitzte Jesusfigur aus, als sei sie eben gekreuzigt worden, und ihre Augen unter der Dornenkrone blickten traurig auf die Menschen zu ihren Füßen herab. Aber nicht der hölzerne Heiland war der frisch Gekreuzigte, sondern der Mann im schwarzen Priesteranzug, der rücklings auf dem Boden lag und von einem Polizeiarzt untersucht wurde. Alexander bemerkte die blutigen Hände und Füße, wo die Nägel durch die Gliedmaßen getrieben worden waren.
    »Jetzt verstehe ich«, sagte er. »Ein Mann allein kann den Toten unmöglich an das Kreuz geschlagen haben. Es müssen mehrere gewesen sein. Mindestens einer hat den Toten festgehalten, während ein anderer den Hammer schwang. Das heißt, falls der Priester da schon tot war.«
    Der Arzt blickte zu ihnen auf. »Das war er. Natürlich kann ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nichts Definitives sagen, aber bislang habe ich folgendes Bild gewonnen: Erst wurde der Priester niedergeschlagen, worauf eine frische Wunde am Kopf hindeutet. Vermutlich war er bewusstlos. Jedenfalls hat man ihn erstickt und dann, als er bereits tot war, ans Kreuz genagelt.«
    »Also war die Kreuzigung weder eine Folter noch der Akt des Mordes«, überlegte Alexander laut. »Trotzdem haben sich die Mörder erhebliche Mühe gemacht. In der Zeit, die sie benötigten, um dem Toten Schuhe und Strümpfe auszuziehen, ihn ans Kreuz zu schlagen und dieses wieder an seinen Platz zu bringen, hätten sie von einem zufälligen Kirchenbesucher entdeckt werden können. Damit stellt sich die Frage, was den Mördern an der Kreuzigung so wichtig war.«
    Donati lächelte. »Sehr gut, Signor Rosin. Mein Unterricht scheint sich bezahlt zu machen. Vielleicht hätten Sie zur Polizei gehen sollen anstatt zur Zeitung.«
    »Es gab gute Gründe, die für die Zeitung sprachen«, sagte Alexander und legte einen Arm um Elena.
    »Keine Frage«, stimmte ihm Donati zu und blickte zum Kruzifix. »Die Mafia hat verschiedene Rituale entwickelt, nach denen Leichen aufgefunden werden. Es sind Botschaften für die Hinterbliebenen, häufig Warnungen. Ich vermute, die Kreuzigung hat einen vergleichbaren Hintergrund.«

    »Aber welchen?«, fragte Elena, während sie ihre Fotokamera aus der Umhängetasche zog.
    »Das«, antwortete Donati gedehnt, »sollten wir herausfinden.«

2
    Rom, Freitag, 18. September
    »Und was gibt es Neues aus dem Vatikan? … Ah, na gut …
    Ja, machen wir. Ciao, Laura.«
    Alexander blickte Elena über den Frühstückstisch an und bemerkte an ihrem Gesichtsausdruck und an ihrem Tonfall, dass sie unzufrieden war. Sie schien seinen fragenden Blick nicht zu bemerken. Sie legte ihr Handy auf den Tisch und rührte lustlos in ihrem Cappuccino herum.
    »Wenn du so weitermachst, kommst du selbst aufs Titelblatt des ›Messaggero‹, Elena. Als die erste Frau, die sich totgerührt hat.«
    »Haha«, sagte sie in übertriebenem Tonfall. »Überaus witzig, und das am frühen Morgen!«
    Alexander setzte sein breitestes Grinsen auf. »Gut gelaunt sollten wir den Tag angehen, der uns noch genügend düstere Neuigkeiten bringen wird. Ich denke, heute wird der Vatikan um eine Presseerklärung nicht mehr herumkommen. Wenn sie das gestrige Schweigen zur Kirchenspaltung fortsetzen, stürmt eine Armee wild gewordener Journalisten den kleinsten Staat der Welt. Da kann dann auch die Schweizergarde nicht mehr helfen.«
    »Vermutlich wird es heute eine Presseerklärung geben, aber uns kann das egal sein.« Elena seufzte und legte endlich ihren Löffel auf die blaue Untertasse. »Wir fahren nämlich nicht zum Vatikan. Laura hat uns gerade damit beauftragt, an dem gekreuzigten Priester dranzubleiben.«
    »Aber wir haben unseren Artikel abgeliefert«, sagte Alexander und hielt die neueste Ausgabe des »Messaggero di Roma« hoch, auf der ein von Elena geschossenes Foto des ermordeten Geistlichen prangte, zusammen mit der Überschrift
    »Priester gekreuzigt – grausamer Mord in Trastevere«. »Wenn es Neuigkeiten gibt, wird Donati es uns wissen
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