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Engel des Todes

Engel des Todes

Titel: Engel des Todes
Autoren: Michael Marshall
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zurückzukehren.
    »Hat dein Apparat auch eine Funzel?«
    »Selbstverständlich.«
    »Dann haben wir ja noch etwas Zeit.« Ich wollte schon weitergehen.
    Er rührte sich nicht vom Fleck. »Ward. Das lohnt sich nicht. Selbst wenn man eine gerade Linie annimmt, sind wir vierzig Minuten von der Straße entfernt, vielleicht sogar mehr. Wir haben das ganze markierte Gebiet abgeschritten.«
    Ich schaute zu ihm hinüber. »Und wo hat er das Kreuz gemacht? Wo war er da?«
    »In der Bar.« Obwohl nur ein paar Schritte entfernt, hörte sich Zandts Stimme an, als ob sie sich durch den Nebel kämpfen müsste.
    »Genau. Eine Woche ist das her und mehrere hundert Meilen entfernt von dem Punkt, an dem er einmal gewesen ist. Wie betrunken war er denn?«
    »Er sagte, er sei sich sicher.«
    »Wahrscheinlich ist er sich auch sicher, dass er eine Menge verträgt. Als du noch Cop warst, hast du da auf die Aussagen von Zeugen immer Stein und Bein geschworen?«
    »Selbstverständlich nicht«, schnaubte er. Er zog sein Handy hervor und warf einen wütenden Blick darauf. »Kein Netz. Wir sind hier draußen völlig abgeschnitten, Ward.«
    »In jeder Hinsicht. Aber …« Plötzlich schien die Welt einen Ruck zu machen. »Was zum Teufel ist denn das?«
    Zandt schloss zu mir auf, und wir standen einen Augenblick nebeneinander. Dann sah auch er es. »Heiliger Bimbam.«
    In einiger Entfernung vor uns, gerade so weit, dass die Konturen undeutlich wurden, schritt ein Mann. Er trug einen grauen Geschäftsanzug und feine schwarze Schuhe, die für das Gelände nicht geeignet waren. Man hörte, wie die Schöße seines Jacketts im Wind flatterten. Er schien planvoll auszuschreiten, als wäre er zu einem Termin unterwegs. Aber er bewegte sich nicht.
    Er mochte Ende fünfzig sein. Er hatte graues Haar, das vor kurzem aufwendig geschnitten worden war. Nun klebte es ihm angeklatscht am Kopf. Gesicht und Hände waren von einer abstoßenden Farbe. Die einst helle Haut zeigte eine ganze Palette von blauen und rosa Tönungen, die an manchen Stellen in ein undefinierbares Rotbraun übergingen. Eine klaffende Schnittwunde verlief vom Hals bis hinauf zum linken Ohr. Die Klinge hatte ein Stück Fleisch herausgerissen, was ihm ein merkwürdig schiefes Aussehen verlieh. Auch seine Oberlippe fehlte. Er strömte Verwesungsgeruch aus, der aber wegen der großen Kälte noch erträglich war.
    Je näher wir herantraten, desto prosaischer wurde der Anblick. Das war kein Gespenst mehr, sondern eine Leiche. Niemand sieht gern Leichen, aber Leichen sind immer noch besser als Gespenster.
    Beim Anblick von Leichen zweifelt man an der Welt und den Menschen. Bei Gespenstern zweifelt man an allem, und der Zweifel nistet sich in einem Winkel des Bewusstseins ein, wo die tröstenden Worte, die man sonst spricht, weder geglaubt noch überhaupt verstanden werden.
    Zandt ging ein paar Schritte zurück und begann, mit seiner Kamera Aufnahmen des Gesichtes zu machen. »Schau mal«, sagte er.
    Ich schritt um den Toten herum, unbewusst Abstand haltend, aus Furcht, die Leiche könnte ihren Weg über die Ebene fortsetzen. Eine anderthalb Meter hohe fingerdicke Metallstange steckte hinter ihm im Boden. Er war daran in aufrechter Haltung befestigt worden, so dass es aussah, als ob er schreiten würde. Mit der Zeit würde die Leiche verwesen, die Kleidung verrotten und die Stange verrosten.
    »Um Gottes willen«, entfuhr es mir. Zandt nickte nur, er hatte es schon aus anderen Blickwinkeln betrachtet. Er fuhr mit den Händen in die Jackett- und Hosentaschen des Toten, fand aber nichts.
    Ich nahm ein paar Schritte Abstand von der Gestalt. Wartete man ein bisschen und ließ den Nebel ziehen, dann sah man deutlich, dass der Platz der Leiche bewusst gewählt worden war. Von der Bergkuppe aus konnte man sie nicht sehen. Sie kam erst in den Blick, wenn man bis hierher gewandert war, wozu niemand einen Grund hatte.
    »Er sagte, es wären zwei.«
    »Prima. Dann haben wir ja was, worauf wir uns noch freuen können.«
    »Er sagte allerdings nicht, wo.«
    Ich wies mit dem Kinn auf den Schreitenden. »Offenbar hatte er ein Ziel.«
    Wir gingen in die Richtung, in die der Mann wies. Nach fünfzig Schritten spürten wir mehr, als dass wir ihn sahen, den Rand einer weiteren Schlucht. Dann stießen wir auf etwas.
    Sie saß auf dem Rand. Sie war ungefähr genauso alt wie der Schreitende, wenn auch der jetzige Zustand ihrer Haut keine genauen Schlüsse zuließ. Sie hatte die Ellbogen auf die Knie gestützt und den
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