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Empty Mile

Empty Mile

Titel: Empty Mile
Autoren: Matthew Stokoe
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als sabbernder Pflegefall, war nicht halbseitig gelähmt oder unfähig zu sprechen. Er litt weder an Ataxie noch an Aphasie. Aber er hatte sich verändert, daran bestand kein Zweifel. Verschwunden war der glasklare Verstand, mit dem er die Welt betrachtete, verschwunden sein zielgerichteter Wille, sein herausragender IQ . Er war Stan Nummer zwei und würde nie wieder sein, was er vorher gewesen war, niemals ganz genesen und diese spezielle Schwelle der Wiederbelebung überschreiten.
    Und das alles war meine Schuld.
     
    Als ich jetzt, zwölf Jahre später, wieder an diesem Strand stand, verspürte ich meine Schuldgefühle nicht weniger schmerzlich. Ich hatte einen Jungen, der nicht schwimmen konnte, allein am Wasser gelassen, und all die Jahre, die seither verstrichen waren, die Jahre meiner Isolation in London, änderten nicht das Geringste daran, was ich von mir selbst hielt.
    Ich ging über den Sandstreifen zum Parkplatz und stieg in meinen Pick-up. Erst als ich die tückische Abfahrt den Weg hinunter in Angriff nahm, wurde mir klar, dass Gareth genau gewusst haben musste, wie ich darauf reagieren würde, den See wiederzusehen.

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    Kapitel Vier
    Als ich zum Gartenzentrum kam, wartete Stan schon draußen auf mich. Er sprang in den Pick-up.
    »He, Johnny, heute ist mir etwas eingefallen. Eine neue Geschäftsidee.«
    »Raus damit.«
    »Ein Mann ist heute dagewesen und hat eine Ladung Zimmerpflanzen gekauft – Birkenfeigen, Drachenbäume und Yuccas. Er wollte sie für sein Büro. Aber er wusste nicht, wie man sie pflegt. Er wusste gar nichts über Pflanzen. Und da hatte ich eine Idee. Wie wäre es mit einem Geschäft, das Pflanzen an Büros, Geschäfte und so vermietet und sich dann selbst um sie kümmert?«
    »Das ist eine tolle Idee, aber das machen Leute schon. Wir hatten das in England, wo ich gearbeitet habe.«
    »Ja, aber hier in Oakridge macht das niemand. Ich hab Bill gefragt.«
    »Bist du sicher?«
    »Total. Und er muss es wissen, er ist sozusagen der König hier im Zentrum.«
    »Also, dann vergiss es nicht wieder.«
    »Nein, nein, ganz bestimmt nicht. Ich vergesse es nicht, Johnny, weil ich gern Geschäftsmann wär. Dann würde ich richtig dazugehören.«
    Ich ließ den Pick-up an, dann fuhren wie in die Stadt. Eine Weile blieb ich still, doch dann übermannte mich die Erinnerung an den Besuch am See.
    »Gehst du oft zum See rauf, Stan?«
    »Ich kann nicht schwimmen. Der Wald hinter unserem Haus ist mir lieber.«
    »Hast du Angst da oben?«
    »Du solltest nicht an den See denken, Johnny.«
    »Denkst du nie daran?«
    »Manchmal.«
    »Ich muss oft daran denken.«
    »Weißt du, woran ich manchmal denke? Ich weiß noch, wie grell die Sonne schien, als ich auf dem Sand lag und aufwachte, und wie gut es tat, zum Himmel zu schauen. Das war, als könnte ich alles um mich herum spüren. Daran erinnere ich mich, dass ich mich gut gefühlt habe. Später habe ich mich nicht immer gut gefühlt, aber wenn es mir schlecht ging, wenn ich etwas nicht verstand oder die anderen Kinder sich über mich lustig gemacht haben, dann habe ich daran gedacht – an die Sonne und wie ich alles um mich herum gespürt habe.«
    Stans Tanzstunde fand in einer Wellblechhalle statt, die in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer Kirche in einem Wohngebiet von Back Town lag. Ein dazugehöriger Parkplatz war zu zwei Dritteln mit Kleinwagen zugestellt. Mehrere alte Leute schlurften Richtung Halleneingang.
    Stan wollte, dass ich mit reinkomme und zusehe, doch mein Besuch am See hatte zu viele Erinnerungen geweckt; außerdem hatte ich noch etwas anderes vor. Er schmollte ein wenig, bis ich ihm versprach, dass ich wieder dort sein würde, bevor er fertig war.
     
    Channon lag südöstlich auf der anderen Seite des Swallow River. Es war der äußerste Zipfel der Stadt, ein dünn bewaldetes Gebiet mit vereinzelten kleinen, weit auseinander gelegenen Häusern. Eine Gegend, wo die Mieten niedrig waren und die Anwohner unter sich blieben.
    Marlas Haus war ein Dreizimmer-Holzbungalow, ein paar Autominuten von der Hauptstraße entfernt. Eine Hecke schirmte es von der Zufahrtstraße ab, ein zwanzig Meter breiter Baumstreifen vom nächsten Nachbarn. Ich fuhr langsam daran vorbei. Die Einfahrt führte zur linken Seite des Hauses; soweit ich es durch die Lücke in der Hecke erkennen konnte, schien niemand da zu sein. Es parkte kein Auto vor dem Haus, die Fenster waren dunkel und tot.
    Ich parkte den Pick-up hundert Meter weiter, ging die Straße entlang
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