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Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Titel: Empfindliche Wahrheit (German Edition)
Autoren: John le Carré
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ihres Sitzes. »Hansi gehört mit zum Team. ›Immer auf Zack‹, das ist sein Motto. Stimmt’s, Hansi? Sag auch mal was.«
    »Willkommen an Bord, Paul«, sagte der zackige Hansi, ohne den Kopf zu wenden. Die Stimme vielleicht amerikanisch, vielleicht auch deutsch. Der Krieg war in Unternehmerhand, allerdings.
    Sie fuhren zwischen hohen Steinmauern entlang, und er trank sämtliche Anblicke und Geräusche gleichzeitig in sich hinein: verwischte Jazzklänge aus einer Bar, die übergewichtigen englischen Paare an ihren Außentischen, die sich mit steuerfreiem Alkohol zuschütteten, das Tattoostudio mit seinem gemusterten Torso in einer niedrigsitzenden Jeans, der Friseursalon mit den sechzig Frisuren im Fenster, der krumme alte Mann mit Yarmulke, der einen Kinderwagen schob, das Kuriositätengeschäft, das Statuetten von Windhunden, Flamencotänzerinnen und Jesus im Kreis seiner Jünger feilbot.
    Kirsty hatte sich umgedreht und musterte ihn in dem wechselnden Licht. Ein knochiges Gesicht, gesprenkelt von den Sommersprossen des Outback. Kurzes dunkles Haar unter einem Buschhut. Kein Make-up und keine Botschaft in den Augen, oder zumindest keine für ihn. Kinn in die Armbeuge gedrückt, während sie ihn taxierte. Der Körper nicht einschätzbar unter den Wülsten einer gesteppten Buschjacke.
    »Und haben Sie alles in Ihrem Zimmer gelassen, Paul? So wie vereinbart?«
    »Alles gepackt, wie Sie gesagt haben.«
    »Das Vogelbuch auch?«
    »Das Vogelbuch auch.«
    Jetzt eine dunkle Seitengasse, über die sich Wäscheleinen spannten. Klapperige Fensterläden, schadhaftes Pflaster, Graffiti: ENGLÄNDER RAUS ! Dann wieder die Lichterspiele der großen Straßen.
    »Und Sie haben nicht aus Versehen doch ausgecheckt?«
    »Die Hotelhalle war so brechend voll, dass ich beim besten Willen nicht zur Rezeption hätte vordringen können.«
    »Was ist mit Ihrem Zimmerschlüssel?«
    In meiner verdammten Tasche. Wie ein Idiot legte er ihn in ihre ausgestreckte Hand und sah zu, wie sie ihn an Hansi weitergab.
    »Erst mal die Besichtigungstour, okay? Elliot will, dass wir die ganze Strecke abfahren, damit Sie ein Bild haben.«
    »Gut.«
    »Wir wollen zum Upper Rock, da kommen wir direkt an der Queensway-Marina vorbei. Das da draußen ist die Rosemaria . Sie ist vor einer Stunde eingelaufen. Sehen Sie sie?«
    »Ja.«
    »Aladin hat seinen festen Ankerplatz, und dort vorn ist seine Privattreppe zum Pier. Niemand außer ihm darf sie benutzen, er besitzt Eigentumsanteile an der Kolonie. Er ist noch an Bord, seine Gäste sind spät dran, sie müssen sich schließlich die Nasen pudern, bevor die Sause beim Chinesen losgeht. Die Rosemaria wird von allen angestarrt, warum also nicht von Ihnen. Hauptsache relaxed. Ist ja wohl nichts dabei, einen relaxten Blick auf eine Dreißig-Millionen-Dollar-Yacht zu werfen.«
    War es die erwachende Jagdlust? Einfach die Erleichterung, seinem Gefängnis entkommen zu sein? Oder die schiere Aussicht darauf, seinem Land auf solch unverhoffte Weise dienen zu dürfen? Was immer der Grund, ihn erfasste eine Welle patriotischer Begeisterung angesichts dieser Jahrhunderte imperialer Landnahme. Die Standbilder großer Admirale und Generale, die Kanonen, Schanzen und Basteien, die ramponierten Warnschilder, die unseren stoischen Verteidigern den Weg zum nächsten Luftschutzbunker wiesen, die Gurkha-Krieger, die mit aufgepflanztem Bajonett vor dem Gouverneurspalast Wache standen, die Bobbys in ihren ausgebeulten britischen Uniformen: All das war sein Erbe. Selbst die tristen Reihen von Fish & Chips-Läden, die sich hinter den eleganten spanischen Fassaden angesiedelt hatten, weckten Heimatgefühle in ihm.
    Aus den Augenwinkeln nahm er Kanonen wahr, dann Kriegerdenkmäler, ein britisches, ein amerikanisches. Willkommen im Ocean Village, hoch aufragende Wohnsilos mit blauen Glasbalkonen, die Meereswellen darstellen sollten. Sie bogen in eine Privatstraße mit einem Tor und einem Wachhäuschen ohne Wächter. Unter ihnen ein Wald aus weißen Masten, eine festlich mit Teppich belegte Landungsbrücke, eine Zeile von Boutiquen und das Chinarestaurant, in dem Aladins große Sause steigen sollte.
    Und dort auf dem Wasser, in aller Pracht: die Rosemaria , über und über mit Lichterketten behängt. Die Fenster des Zwischendecks schwarz. Die Salonfenster hell erleuchtet. Bullige Männer hielten zwischen leeren Tischen die Stellung. Und am Fuß einer vergoldeten Schiffsleiter ein schlankes Motorboot mit zwei weiß uniformierten Seeleuten
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