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Emilia Galotti - Textausgabe und Lektüreschlüssel

Emilia Galotti - Textausgabe und Lektüreschlüssel

Titel: Emilia Galotti - Textausgabe und Lektüreschlüssel
Autoren: G.E. Lessing
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gewöhnlich«; er ist »ungewöhnlich trübe und finster«, ohne zu wissen warum (II,7). Es mag verständlich sein, dass Emilia, die sich gerade den Nachstellungen des Prinzen entzogen hat, zu großen Liebesbewegungen nicht fähig ist. Ihre Empfindungen bleiben verdeckt; für sie ist ihr Bräutigam »mein guter Appiani« (II,6). Ähnlich leidenschaftliche Äußerungen wie vom Prinzen sind weder von Appiani und erst recht nicht von Emilia zu erwarten.
    Während für Appiani die bevorstehende Eheschließung mit Emilia die erstrebte »Glückseligkeit« (II,7) bedeutet, sieht sich der Prinz als »das Opfer eines elenden Staatsinteresse[s]«, wenn er an seine bevorstehende »Vermählung mit der Prinzessin von Massa« denkt (I,6). Zwar ist er bereit, auf die Gräfin Orsina und »dergleichen Händel fürs Erste« (I,6) zu verzichten. Doch lässt er sich von Marinelli sehr schnell überzeugen, dass neben einer »Gemahlin«, die »die Politik zuführet«, eine »Geliebte noch immer ihren Platz« haben dürfe (I,6). Für den Prinzen eröffnet sich damit die Perspektive, Emilie für die Rolle einer Geliebten zu gewinnen, nachdem er der bisherigen Mätresse Orsina überdrüssig geworden ist.
    Für die Familie Galotti, aber auch für Graf Appiani, hat die Ehe einen ganz andern Stellenwert. Nach Odoardo macht es das »Glück« des Lebens aus, wenn sich zwei Menschen »gefunden« haben, »die für einander bestimmt waren« (II,4). Die Eheschließung ist ein wichtiger und ernster Akt im bürgerlichen Leben, bei dem es nahe liegt, »Gnade von oben zu erflehen« (II,2). Auch in diesem Punkt ist der Höfling Marinelli anderer Ansicht. Für ihn ist die Hochzeit eine »Zeremonie« (II,10), die sich leicht verschieben lässt. An Liebe und Treue glaubt er ohnehin nicht.
    Die Ehe von Odoardo und Claudia ist weniger durch überschwängliche Liebe gekennzeichnet als durch Treue, Zuverlässigkeit und Ernsthaftigkeit in den entscheidenden Punkten des Lebens. Man mag Anstoß an der patriarchalischen Haltung Odoardos nehmen. Doch muss man seine Sorge für die Familie ernst nehmen. Außerdem erkennt man, dass sich Claudia mit ihren Erziehungsvorstellungen durchaus gegenüber Odoardo durchzusetzen weiß.
    Die Ehe, die Marinelli als »Missbündnis« ansieht, da ein hochstehender Graf »ein Mädchen ohne Vermögen und ohne Rang« zu heiraten beabsichtigt und ihm deshalb »der Zirkel der ersten Häuser […] verschlossen« (I,6) bleiben wird, verspricht sowohl dem Grafen wie auch Emilia die höchste »Glückseligkeit« (II,7). Kein äußerer Zwang und kein politisches Interesse führte sie zusammen, sondern ein gegenseitiges Gefallen. So möchte Emilia am Hochzeitstag das Kleid tragen, das sie trug, »als ich Ihnen zuerst gefiel« (II,7). Dieses Kleid wird sie »fliegend und frei« (II,7) tragen, dazu das Haar »in Locken« – eine »Rose darin nicht zu vergessen« (II,7). In der wahrscheinlich roten Rose darf man ein Liebessymbol sehen und in der Kleidung vorsichtige Zeichen einer natürlichen und durchaus tugendhaften Erotik. Auf »Putz« und erst recht auf »Geschmeide« (II,7) wird bewusst verzichtet.
    Doch genau diese Glücksvorstellung wird nicht konkret. Im Hintergrund wird schon die Intrige entworfen, die das Glück der Familie zerstört.
Über Schuld und ausgleichende Gerechtigkeit
    Unausweichlich stellt sich am Ende des Stücks die Frage, wer die Schuld an dem traurigen Ausgang trägt. Wer von der Konzeption der antiken Tragödie weiß und gewohnt ist, nach dem Schuld-Anteil des Helden selbst zu fragen, nach der tragischen Schuld, in der sich Schuld und Unschuld vermischen, wird zuerst Emilia in den Blick nehmen. Sie war im Begriff, sich selbst zu töten, und hat dann ihren Vater zur Ausführung gedrängt. Ein Vorwurf wird ihr daraus nicht gemacht.
    Der Grund, der Emilia veranlasste, den Dolch zu nehmen, bestand nach ihren eigenen Worten darin, sich vor »der Schande zu retten« (V,7). Forscht man nach, worin diese Schande besteht, so gerät man in Schwierigkeiten. Klar ist, dass Emilia ebenso wie ihre Eltern ein irgendwie geartetes Einverständnis mit dem Prinzen für schuldhaft gehalten hätte. Abwegig wäre, jenes Gespräch in der Gesellschaft im Hause der Grimaldi, durch das der Prinz »so bezaubert […] schien« (II,4), für ein Vergehen zu halten; denn dieses Gespräch verlief vor aller Augen im konventionellen Rahmen der geladenen Gesellschaft. Später »floh« Emilia entsetzt vor dem aufdringlichen Prinzen aus der »Halle« vor der
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