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Emil und die Detektive

Emil und die Detektive

Titel: Emil und die Detektive
Autoren: Erich Kästner
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so machen es doch die meisten Schriftsteller!« rufe ich.
    »Guten Appetit!« Das ist alles, was er sagt.
    Ich grüble ein Weilchen. Dann fange ich die Unterhaltung wieder an: »Herr Nietenführ, kennen Sie Schiller?« 
    »Schiller? Meinen Sie den Schiller, der in der Waldschlößchenbrauerei Lagerverwalter ist?« 
    »Nicht doch!« sage ich, »sondern den Dichter Friedrich von Schiller, der vor mehr als hundert Jahren eine Menge Theaterstücke geschrieben hat.« 
    »Ach so! Den Schiller! Den mit den vielen Denkmälern!« 
    »Richtig. Der hat ein Stück verfaßt, das spielt in der Schweiz und heißt >Wilhelm Tell<. Früher mußten die Schulkinder immer Aufsätze drüber schreiben.« 
    »Wir auch«, sagt Nietenführ, »den Teil kenn' ich. Ein großartiges Drama, wirklich wahr. Das muß man dem Schiller lassen. Alles was recht ist. Bloß die Aufsätze waren was Furchtbares. An einen erinnere ich mich sogar noch. Der hieß: >Warum hat Teil nicht gezittert, als er nach dem Apfel zielte ?< Ich bekam damals 'ne Fünf. Überhaupt, Aufsätze waren nie meine ...« 
    »Na ja, nun lassen Sie mich mal wieder aufs Rednerpult«, sage ich, »und sehen Sie, obwohl Schiller nie in seinem Leben in der Schweiz war, stimmt sein Theaterstück von Wilhelm Teil bis aufs Komma mit der Wirklichkeit überein.« 
    »Da hat er eben vorher Kochbücher gelesen«, meint Nietenführ.
    »Kochbücher?« 
    »Freilich! Wo alles drinstand. Wie hoch die Berge in der Schweiz sind. Und wann der Schnee schmilzt. Und wie es ist, wenn's auf dem Vierwaldstätter See ein Gewitter gibt. Und wie es war, als die Bauern gegen den Gouverneur Geßler ihre Revolution machten.« 
    »Da haben Sie allerdings recht«, antworte ich, »das hat der Schiller wirklich getan.« 
    »Sehen Sie!« erklärt mir Nietenführ und schlägt mit seiner Serviette nach einer Fliege, »sehen Sie, wenn Sie das genau so machen und vorher Bücher lesen, können Sie natürlich auch Ihre Känguruhgeschichte über Australien schreiben.« 
    »Dazu hab ich aber gar keine Lust. Wenn ich Geld hätte, würde ich gern mal hinfahren und mir alles scharf ansehen. Auf der Stelle! Aber Bücher lesen, och ...« 
    »Da will ich Ihnen mal einen prima Rat geben«, sagt er, »das beste wird sein, Sie schreiben über Sachen, die Sie kennen. Also, von der Untergrundbahn und Hotels und solchem Zeug. Und von Kindern, wie sie Ihnen täglich an der Nase vorbeilaufen, und wie wir früher einmal selber welche waren.« 
    »Aber mir hat doch wer, der einen großen Umhängebart trug und die Kinder wie seine Westentasche kannte, ausdrücklich erklärt, das gefiele ihnen nicht!« 
    »Quatsch!« brummt Herr Nietenführ, »verlassen Sie sich auf das, was ich Ihnen sage. Schließlich hab ich ja auch Kinder. Zwei Jungens und ein Mädel. Und wenn ich denen, an meinem freien Tag in der Woche, erzähle, was so hier im Lokal passiert. Wenn einer die Zeche prellt, oder wie damals, als ein beschwipster Gast dem Zigarettenboy eine kleben wollte und statt dessen eine feine Dame traf, die zufällig vorbeiging, dann lauschen meine Kinder, kann ich Ihnen flüstern, als ob's im Keller donnert.« 
    »Na, wenn Sie meinen, Herr Nietenführ?« sage ich zögernd.
    »Bestimmt! Darauf können Sie Gift nehmen, Herr Kästner«, ruft er und verschwindet; denn ein Gast klopft laut mit dem Messer ans Glas und will zahlen.
    Und so habe ich, eigentlich nur, weil der Oberkellner Nietenführ es so wollte, eine Geschichte über Dinge geschrieben, die wir, ihr und ich, längst kennen. Nun ging ich erst mal nach Hause, lümmelte mich ein bißchen aufs Fensterbrett, blickte die Prager Straße lang und dachte, vielleicht käme unten gerade die Geschichte vorbei, die ich suchte. Dann hätte ich ihr nämlich gewinkt und gesagt: »Ach bitte, kommen Sie doch mal einen Sprung rauf! Ich möchte Sie gerne schreiben.« Doch die Geschichte kam und kam nicht. Und mich fing schon an zu frieren. Da machte ich das Fenster ärgerlich wieder zu und rannte dreiundfünfzigmal rund um den Tisch. Auch das half nichts. Und so legte ich mich endlich, genau wie vorhin, längelang auf den Fußboden und vertrieb mir die Zeit mit tiefem Nachdenken.
    Wenn man so der Länge nach in der Stube liegt, kriegt die Welt ein ganz anderes Gesicht. Man sieht Stuhlbeine, Hausschuhe, Teppichblumen, Zigarettenasche, Staubflocken, Tischbeine; und sogar den linken Handschuh findet man unterm Sofa wieder, den man vor drei Tagen im Schrank suchte. Ich lag also neugierig in meiner Stube,
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