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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque
Autoren: Schatten im Paradies
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öko­no­mi­scher.«
    »Die­ses Ho­tel ist lei­der ei­ne Ka­ra­wan­se­rei.
Hier flie­gen die Ak­zen­te um­her wie Ty­phus­ba­zil­len, und du hast lei­der nur ein
gu­tes Ohr für das Ex­tre­me, aber gar kei­nes für das Nor­ma­le. Ge­füh­le wür­den da
viel­leicht hel­fen.«
    »Wla­di­mir«, sag­te ich. »Die Welt ver­än­dert
sich mir oh­ne­hin schon ra­pi­de ge­nug. Al­le paar Ta­ge wird mein eng­li­sches Ich
ein Jahr äl­ter, zu mei­nem Be­dau­ern ent­zau­bert sich da­bei auch die Welt die­ses
Ichs. Je mehr ich ver­ste­he, de­sto mehr schwin­det das Ge­heim­nis. Noch ein paar
Wo­chen und mei­ne bei­den Ichs hal­ten sich die Waa­ge. Das ame­ri­ka­ni­sche ist dann
eben­so er­nüch­tert wie das eu­ro­päi­sche. Laß mir des­halb Zeit! Auch mit den
Ak­zen­ten. Ich möch­te mei­ne zwei­te Kind­heit nicht zu schnell ver­lie­ren.«
    »Das wirst du nicht. Vor­läu­fig hast du erst
den geis­ti­gen Ho­ri­zont ei­nes me­lan­cho­li­schen Ge­mü­se­händ­lers. Des Ge­mü­se­händ­lers
an der Ecke, An­ni­ba­le Bal­bo. Du ge­brauchst so­gar schon sei­ne ita­lie­ni­schen
Sprach­bro­cken; sie schwim­men wie Fleisch­stücke in dei­ner eng­li­schen Mi­ne­stro­ne
her­um.«
    »Gibt es auch nor­ma­le, ech­te Ame­ri­ka­ner?«
    »Na­tür­lich. Aber New York ist der große
Ein­falls­ha­fen der Emi­gran­ten, der iri­schen, ita­lie­ni­schen, deut­schen,
jü­di­schen, ar­me­ni­schen, rus­si­schen und noch ei­nem Dut­zend an­de­rer. Wie sagt man
bei euch: Hier bist du Mensch, hier darfst du's sein? Hier bist du Emi­grant,
hier darfst du's sein. Die­ses Land ist von Emi­gran­ten ge­grün­det wor­den. Wirf
al­so dei­ne eu­ro­päi­schen Min­der­wer­tig­keits­kom­ple­xe ab. Hier bist du wie­der
Mensch. Nicht mehr ein wun­des Stück Fleisch, das an ei­nem Paß klebt.«
    Ich blick­te vom Schach­brett auf. »Das ist
wahr, Wla­di­mir«, sag­te ich lang­sam. »Wir wol­len se­hen, wie lan­ge es dau­ert.«
    »Glaubst du denn nicht, daß es dau­ert?«
    »Wie könn­te ich?«
    »Was glaubst du ei­gent­lich?«
    »Daß al­les im­mer schlim­mer wird«, sag­te
ich.
    ***
    Je­mand hin­k­te in den
Vor­raum. Wir sa­ßen im Halb­dun­kel, und ich konn­te den Mann nur un­ge­nau se­hen,
aber sein merk­wür­di­ges Hin­ken, in ei­ner Art von Drei­vier­tel­takt, fiel mir auf
und er­in­ner­te mich va­ge an einen Be­kann­ten. »Lach­mann«, sag­te ich halb­laut.
    Der Mann blieb ste­hen und blick­te zu mir
her­über. »Lach­mann!« wie­der­hol­te ich.
    »Ich hei­ße Mer­ton«, sag­te der Mann.
    Ich knips­te das Licht an, das trost­los gelb
und blau aus ei­nem be­schei­de­nen Lüs­ter des schlech­tes­ten Ju­gend­stils an der
De­cke tropf­te. »Mein Gott, Ro­bert«, rief er über­rascht. »Du lebst? Ich dach­te,
du wärst längst tot!«
    »Das dach­te ich auch von dir! Ich ha­be dich
an dei­nem Schritt wie­der er­kannt.«
    »An mei­nem Tro­chä­en-Ge­hin­ke?«
    »An dei­nem Wal­zer­schritt, Kurt. Kennst du
Me­li­kow?«
    »Na­tür­lich ken­ne ich ihn.«
    »Wohnst du et­wa hier?«
    »Nein. Aber ich kom­me manch­mal her.«
    »Und du heißt jetzt Mer­ton?«
    »Ja. Und du?«
    »Ross. Der Vor­na­me stimmt noch.«
    »So trifft man sich wie­der«, sag­te Lach­mann
mit ei­nem dün­nen Lä­cheln.
    Wir schwie­gen bei­de. Es war die al­te
Ver­le­gen­heits­pau­se zwi­schen Emi­gran­ten. Man wuß­te nicht, wie weit man fra­gen
konn­te. Man wuß­te nicht, wer tot war.
    »Hast du noch et­was von Cohn ge­hört?« sag­te
ich dann.
    Auch das war die al­te Tech­nik. Man frag­te
zu­erst vor­sich­tig nach Leu­ten, die ei­nem nicht sehr na­he ge­stan­den ha­ben.
    »Er ist in New York«, er­wi­der­te Lach­mann.
    »Er auch? Wie ist er her­über­ge­kom­men?«
    »Wie sind wir al­le her­über­ge­kom­men? Durch
hun­dert Zu­fäl­le. Kei­ner von uns war auf der von den Ame­ri­ka­nern auf­ge­stell­ten
Lis­te je­ner pro­mi­nen­ten In­tel­lek­tu­el­len, die ge­ret­tet wer­den soll­ten.«
    Me­li­kow dreh­te das Licht wie­der ab und hol­te
ei­ne Fla­sche un­ter der The­ke her­vor. »Ame­ri­ka­ni­scher Wod­ka«, sag­te er. »Ähn­lich
wie ka­li­for­ni­scher Bor­deaux und Bur­gun­der aus San Fran­cis­co. Oder Rhein­wein aus
Chi­le. Sa­lut. Ei­ner
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