E.M. Remarque
groß und gebieterisch, und Fieber und
Verzweiflung.
Als
der Aufseher
ihnen sagte, daß sie frei seien, glaubten sie es zuerst gar nicht. Bis zum
allerletzten Tag hatten sie damit gerechnet, daß er kommen und ihnen mitteilen
würde, daß sie noch weitere fünf Jahre bleiben müßten – so wenig konnten sie
sich vorstellen, was es bedeutete, frei zu sein. Sie packten ihre wenigen
Habseligkeiten zusammen und marschierten hinunter zum Hafen. Bartok sah sich
noch einmal um. Da, vor den Hütten, sah er die Überlebenden jener Kameraden,
die lebenslange Freiheitsstrafe bekommen hatten und jetzt zurückbleiben mußten.
Sie schauten ihnen schweigend nach. Vor dem Abmarsch hatte Bartok zwei von
ihnen gefragt, ob er ihnen nicht etwas von Zuhause schicken könnte. »Halt den
Mund!« hatte einer geantwortet und war weggegangen. Der andere verstand gar
nichts mehr. Aber der erste kam ein paar Schritte hinter ihnen hergelaufen –
»Wir kommen auch!« schrie er. Die anderen rührten sich nicht. Sie standen bloß
da und starrten.
Auf
dem Weg zum Schiff nahm Bartok seine Uhr heraus. Das Bild von seiner Frau war
noch da – es war völlig verblaßt, und nichts Erkennbares war geblieben. Aber er
nahm es heraus und versuchte zurückzudenken. Das hatte er schon lange nicht
mehr getan, und bald schwirrte ihm der Kopf, so ungewohnt war das für ihn.
Wieder an Land, reiste er
mit ein paar Kameraden aus derselben Gegend weiter. Sie stellten fest, daß ihre
Heimat jetzt einem Land gehörte, das vorher gegen sie gekämpft hatte. Die
Gegend war aufgrund des Friedensvertrags abgetreten worden. Sie verstanden es
nicht, aber sie nahmen es vorläufig hin. Denn für sie hatte sich die ganze Welt
in diesen fünfzehn Jahren verändert. Sie sahen Häuser, Straßen, Autos, Menschen
– sie hörten vertraute Namen, und doch war alles fremd. Die Städte waren größer
geworden, der Verkehr beängstigte sie, und sie fanden es schwierig zu
verstehen, was um sie herum los war. Alles ging zu schnell. Sie waren daran
gewöhnt, nur langsam zu denken.
Schließlich
kam Bartok in seiner Heimatstadt an. Er mußte langsam gehen und sich auf seinen
Stock stützen, so zitterten seine Knie vor Aufregung. Er fand das Haus wieder,
in dem er gewohnt hatte. Das Geschäft war noch da, aber niemand wußte etwas von
seiner Frau. Die Pacht war in den letzten zehn Jahren oft in andere Hände
übergegangen. Seine Frau mußte schon seit langem weggezogen sein. Bartok
fahndete überall. Schließlich erfuhr er, daß sie jetzt vermutlich in einer
größeren Stadt im Westen lebte.
Er
machte
sich auf zu der Stadt, deren Namen man ihm genannt hatte. Dort stand er dann
vor manch einer Tür und manch einem Flur und fragte nach. Als niemand ihm
Auskunft geben konnte und er erschöpft und ohne Hoffnung war, so daß er schon
wieder abfahren wollte, hatte er plötzlich eine Idee. Er drehte sich um und
nannte dem Beamten den Namen seines ehemaligen Gesellen. Der Beamte sah noch
einmal in das Buch und fand ihn. Die Frau hatte ihn vor sieben Jahren
geheiratet. Bartok nickte. Jetzt war ihm klar, warum keine Briefe gekommen
waren, warum er nie etwas von Zuhause gehört hatte. Sie hatten eben angenommen,
daß er tot sei. Langsam stieg er die Treppen hoch und klingelte. Ein
fünfjähriges Kind öffnete die Tür. Dann kam seine Frau. Er sah sie an, und
unsicher, ob sie es sei, traute er sich nicht zu sprechen.
»Ich
bin Johann«, sagte er schließlich. »Johann!« Sie trat einen Schritt zurück und
ließ sich schwer in einen Sessel fallen. »Heilige Mutter Gottes!« Sie fing an
zu weinen. »Aber wir bekamen doch damals eine Benachrichtigung – eine
Bescheinigung – du seist tot!«
Sie
zog eine Schublade auf und fing an, mit zitternden Händen darin zu wühlen, als
würde ihr
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