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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque
Autoren: Der Feind
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lau­er­ten, hin­ter Hand­gra­na­ten und Sta­chel­draht.
    Hier
sah ich zum ers­ten Mal Ge­fan­ge­ne, und zwar vie­le, sit­zend, lie­gend, rau­chend –
Fran­zo­sen oh­ne Waf­fen. Ein plötz­li­cher Schock traf mich; gleich dar­auf muß­te ich
über mich selbst la­chen. Mich hat­te scho­ckiert, daß sie Men­schen wa­ren wie wir
selbst. Aber die Tat­sa­che war – weiß Gott, merk­wür­dig ge­nug –, daß ich ein­fach
noch nie dar­über nach­ge­dacht hat­te. Fran­zo­sen? Das wa­ren Fein­de, die ge­tö­tet
wer­den muß­ten, weil sie Deutsch­land zer­stö­ren woll­ten. Aber an je­nem
Au­gust­abend wur­de mir je­nes un­heil­vol­le Ge­heim­nis klar, die Ma­gie der Waf­fen.
Waf­fen ver­wan­deln die Men­schen. Und die­se harm­lo­sen Ka­me­ra­den, die­se
Fa­brik­ar­bei­ter, Hilfs­ar­bei­ter, Ge­schäfts­leu­te, Schul­jun­gen, die da so still und
re­si­gniert her­umsa­ßen, wür­den, wenn sie nur Waf­fen hät­ten, au­gen­blick­lich
wie­der zu Fein­den wer­den.
    Ur­sprüng­lich wa­ren sie kei­ne
Fein­de; erst als sie Waf­fen be­ka­men. Das mach­te mich nach­denk­lich, ob­wohl ich
ja wuß­te, daß mei­ne Lo­gik viel­leicht nicht ganz rich­tig war. Aber mir däm­mer­te,
daß es die Waf­fen wa­ren, die uns den Krieg auf­zwan­gen. Es gab so vie­le Waf­fen
in der Welt, daß sie am En­de die Ober­hand über die Men­schen ge­wan­nen und sie in
Fein­de ver­wan­del­ten … ; Und viel spä­ter dann, in Flan­dern, be­ob­ach­te­te ich
wie­der das­sel­be: Wäh­rend die Ma­te­ri­al­schlacht wü­te­te, wa­ren die Men­schen
prak­tisch zu nichts mehr nut­ze. Die Waf­fen schleu­der­ten sich selbst in ir­rer
Wut ge­gen­ein­an­der. Als Mensch muß­te man das Ge­fühl ha­ben, daß auch dann, wenn
al­les zwi­schen den Waf­fen tot wä­re, die Waf­fen von selbst wei­ter­ma­chen wür­den
bis zur to­ta­len Ver­nich­tung der Welt. Aber hier in dem Fa­brik­hof sah ich nur
Men­schen wie wir. Und zum ers­ten Mal be­griff ich, daß ich ge­gen Men­schen
kämpf­te; Men­schen, die wie wir von star­ken Wor­ten und Waf­fen ver­hext wa­ren;
Men­schen, die Frau­en und Kin­der, El­tern und Be­ruf hat­ten und die viel­leicht –
wenn mir die Ein­ge­bung durch sie ge­kom­men war – doch jetzt auch wach wer­den und
sich ge­nau­so um­schau­en und fra­gen muß­ten: »Brü­der, was tun wir denn da? Was
soll das?«
    Ein
paar Wo­chen da­nach wa­ren wir wie­der in ei­nem ru­hi­ge­ren Ab­schnitt. Die
fran­zö­si­sche Li­nie rück­te un­se­rer ziem­lich na­he, aber die Stel­lun­gen wa­ren gut
be­fes­tigt, und au­ßer­dem war, wür­de ich sa­gen, fast nichts los. Pünkt­lich um
sie­ben je­den Mor­gen tausch­te die Ar­til­le­rie ein paar Schüs­se zum Gruß aus;
mit­tags gab es dann noch einen klei­nen Sa­lut und ge­gen Abend den üb­li­chen
Se­gen. Wir nah­men Son­nen­bä­der vor un­se­ren Un­ter­stän­den und wag­ten es so­gar,
nachts zum Schla­fen die Stie­fel aus­zu­zie­hen.
    Ei­nes
Ta­ges tauch­te plötz­lich auf der an­de­ren Sei­te des Nie­mands­lan­des über der
Brust­wehr ein Schild auf mit der Auf­schrift: »At­ten­ti­on!« Man kann sich
vor­stel­len, wie er­staunt wir es an­starr­ten. Dann ka­men wir am En­de zu dem
Schluß, sie woll­ten uns nur war­nen, daß es ein be­son­de­res Ar­til­le­rie­feu­er ge­ben
wür­de, über das üb­li­che Pro­gramm hin­aus; al­so hiel­ten wir uns in Be­reit­schaft,
beim Ge­räusch des ers­ten Schus­ses in un­se­re Un­ter­stän­de zu ver­schwin­den.
    Aber
al­les blieb still. Das Schild ver­schwand. Dann ging ein paar Se­kun­den spä­ter
ein Spa­ten hoch, und auf der Schau­fel konn­ten wir ei­ne große
Zi­ga­ret­ten­schach­tel er­ken­nen. Ei­ner un­se­rer Ka­me­ra­den, der et­was Ah­nung von der
Spra­che hat­te, mal­te mit Schuh­wich­se das Wort »Com­pris« hin­ten auf ei­ne
Kar­ten­ta­sche. Wir hiel­ten die Kar­ten­ta­sche hoch. Da schwenk­ten sie auf der
an­de­ren Sei­te die Zi­ga­ret­ten­schach­tel hin und her. Und wir schwenk­ten dar­auf­hin
un­se­re Kar­ten­ta­sche. Dann ging ein wei­ßes Stück Stoff hoch. In al­ler Ei­le
nah­men wir dem Ober­ge­frei­ten Büh­ler, der sich ge­ra­de ent­laus­te, das Hemd von
den Kni­en und wink­ten da­mit.
    Nach
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