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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque
Autoren: Der Feind
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kei­nen Wi­der­stand leis­ten konn­ten. We­ni­ge Au­gen­bli­cke
spä­ter hat­ten sie die Lu­ken auf­ge­bro­chen und wa­ren drau­ßen an Deck.
    Ein
Teil der Be­sat­zung wur­de im Schlaf über­wäl­tigt, und der Rest muß­te sich
er­ge­ben. Nur der Ka­pi­tän und zwei Of­fi­zie­re ver­schanz­ten sich und er­öff­ne­ten
das Feu­er. Drei Ge­fan­ge­ne wur­den durch Re­vol­ver­schüs­se ge­tö­tet. Aber als ein
Ma­schi­nen­ge­wehr in Stel­lung ge­bracht wur­de, er­gab sich der schwer ver­wun­de­te
Ka­pi­tän.
    Die
Ge­fan­ge­nen hat­ten vor, sich zu ei­nem neu­tra­len Ha­fen durch­zu­schla­gen, denn sie
wa­ren gut mit Waf­fen und Nah­rungs­mit­teln ver­sorgt, und ei­ni­ge von ih­nen wa­ren
schon vor­her zur See ge­fah­ren. Ein ehe­ma­li­ger Schiff­s­of­fi­zier über­nahm das
Kom­man­do. Je­den Tag wur­de ex­er­ziert, und Bar­tok wur­de am Ma­schi­nen­ge­wehr
aus­ge­bil­det. Der kom­man­die­ren­de Of­fi­zier schätz­te, daß sie ei­ne vol­le Wo­che bis
zum nächs­ten Ha­fen brau­chen wür­den. Aber es kam an­ders. Denn am vier­ten Tag
schob sich der nied­ri­ge graue Rumpf ei­nes Kriegs­schiffs über den Ho­ri­zont. Mit
rau­chen­den Schlo­ten hielt er ge­ra­de­wegs auf das Dampf­schiff mit den Ge­fan­ge­nen
zu. Sie ver­such­ten, sich da­von­zu­ma­chen, wa­ren aber nicht schnell ge­nug. Dann
brach­ten sie al­les in Be­reit­schaft, um sich zu ver­tei­di­gen in der Hoff­nung, bis
zum Ein­bruch der Nacht durch­zu­hal­ten und dann im Schutz von Ne­bel und
Dun­kel­heit zu ent­kom­men.
    Aber
sie hat­ten kei­nen Er­folg. Sie hat­ten zwar Ge­weh­re, aber sie wa­ren nicht in der
La­ge, den Kreu­zer da­mit zu er­rei­chen. Nach ei­ner Stun­de wa­ren vie­le tot, und
sie wa­ren ge­zwun­gen, die wei­ße Flag­ge zu his­sen. Der Schiff­s­of­fi­zier er­schoß
sich, als das ers­te Boot des Kriegs­schiffs seit­lich her­an­kam. Der Ka­pi­tän des
Kreu­zers be­han­del­te die Ge­fan­ge­nen nicht als Sol­da­ten, son­dern als Meu­te­rer,
und so wur­den sie in ei­ne Straf­ko­lo­nie auf ei­ner In­sel ge­bracht. Ei­ni­ge der
Rä­dels­füh­rer wur­den er­schos­sen, und ei­ner von ih­nen war Mi­cha­el Hor­vath, Bar­toks
Freund. Er übergab Bar­tok sei­ne Uhr und sei­ne Brief­ta­sche. »Viel Glück,
Jo­hann«, sag­te er und schüt­tel­te ihm zum Ab­schied die Hand, »egal, ob ich auf
die­se oder je­ne Wei­se st­er­be – es kommt letzt­lich doch auf das­sel­be her­aus –
Hof­fen wir, daß du durch­kommst! Wenn mei­ne Mut­ter dann noch lebt, gib ihr die­se
Sa­chen, ja?«
    Die
üb­ri­gen Ge­fan­ge­nen wur­den der Meu­te­rei für schul­dig be­fun­den. Je­der fünf­te
wur­de zu »le­bens­läng­lich« ver­ur­teilt und der Rest zu fünf­zehn Jah­ren
Zwangs­ar­beit. Als sie ab­zähl­ten, hat­te Bar­tok Glück – er be­kam nur fünf­zehn
Jah­re.
    »Fünf­zehn
Jah­re«, dach­te er am Abend des ers­ten Ta­ges, als er sich mit schmer­zen­den
Glie­dern in ei­ner Ecke der bren­nend­hei­ßen Well­blech­hüt­te hin­leg­te, »fünf­zehn
Jah­re. Heu­te bin ich zwei­und­drei­ßig. Dann wer­de ich sie­ben­und­vier­zig sein.« Er
nahm das Bild sei­ner Frau aus dem Uh­ren­de­ckel und schau­te es lan­ge an. Dann
schüt­tel­te er den Kopf und ver­such­te ein­zu­schla­fen.
    Die
Ar­beit
war hart und das Kli­ma mör­de­risch. Ein­hun­dert­acht­zig Män­ner star­ben im ers­ten
Jahr. Im zwei­ten ein­hun­dert­zehn. Im vier­ten Jahr freun­de­te sich Bar­tok mit
Wilc­zek an, ei­nem Bau­ern aus dem Ba­nat. Im sechs­ten be­grub er ihn. Im sieb­ten
ver­lor er sei­ne Vor­der­zäh­ne. Im ach­ten er­fuhr er, daß der Krieg schon lan­ge
vor­bei war. Im neun­ten Jahr wur­de er grau. Im zehn­ten Jahr flo­hen sech­zehn
Leu­te, wur­den aber wie­der ge­fan­gen­ge­nom­men. Im zwölf­ten Jahr sprach kei­ner mehr
von Zu­hau­se. Die Welt war zu ei­ner In­sel zu­sam­men­ge­schrumpft, das Le­ben war
Pla­cke­rei und tiefer Schlaf, die Sehn­sucht war aus­ge­löscht, der Schmerz war
ab­ge­stumpft, die Er­in­ne­rung zer­stört – über den sinn­lo­sen Über­bleib­seln von
We­sen, die sich je­den Abend stumm zum Ster­ben hin­leg­ten und doch am Mor­gen
wie­der auf­stan­den, stan­den nur Wäch­ter,
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