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Elfenherz

Titel: Elfenherz
Autoren: Holly Black
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zusammen einschliefen.

    Im Schnabel eines schwarzen Vogels, dessen Schwingen blau und violett schimmerten wie Ölpfützen, kam eine Nachricht. Der Vogel tanzte auf Vals Fenstersims und klopfte mit dem Fuß an die Scheibe, seine Augen glänzten im schwindenden Licht wie Stückchen von nassem Onyx.
    »Das ist schon ganz schön seltsam«, sagte Ruth, als sie aufstand. Sie hatte auf dem Bauch gelegen, um sie herum stapelten sich Bücher aus der Bibliothek. Sie arbeiteten an einem Referat über »Die Rolle der postpartalen Depression beim Kindsmord«, um in Biologie Extrapunkte zu sammeln. Sie mussten ihren Totalausfall beim Mehl-Baby-Projekt wieder gutmachen.
    Es war sehr merkwürdig gewesen, nach einem Monat Abwesenheit wieder durch die Schulflure zu gehen. Der weiche Stoff ihres T-Shirts hatte über die verschorften Wunden auf ihrem Rücken gekratzt, in der Nase hatte sie den sauberen Geruch von Shampoo und Waschmittel und sie freute
sich schon auf das Mittagessen mit Pizza und Kakao. Als Tom an ihr vorbeiging, hatte sie kaum Notiz von ihm genommen. Sie war vollauf damit beschäftigt gewesen, Klinken zu putzen, den Stoff nachzuholen und zu versprechen, nie wieder auch nur einen einzigen Tag lang zu fehlen.
    Val ging zum Fenster und öffnete es. Der Vogel ließ das Papierröllchen auf den Teppich fallen und flog krächzend davon. »Ravus schickt mir immer Briefe.«
    »Briiiiefe?«, fragte Ruth. Ihrer Stimme zufolge würde sie sich die wildesten Dinge vorstellen, wenn Val ihr keine Details verriet.
    Val verdrehte die Augen. »Wegen Dave - er kommt wahrscheinlich nächste Woche aus dem Krankenhaus. Und Luis ist in Mabrys altes Haus gezogen. Er sagt, auch wenn es ein Schrotthaufen ist, ist es immerhin ein Schrotthaufen an der Upper West Side.«
    »Was Neues von Lolli?«
    Val schüttelte den Kopf. »Nichts. Sie hat sich nicht blicken lassen.«
    »Sonst hat er nichts geschrieben?«
    Val schubste mit dem Fuß ein paar lose Blätter in Ruths Richtung. »Und er vermisst mich.«
    Ruth drehte sich auf den Rücken und kicherte fröhlich. »Und was genau steht auf diesem Zettel? Laut vorlesen, bitte.«
    »Ja ja, ich hab’s gleich.« Val entrollte das Briefchen. »Hier steht: ›Bitte komm heute Abend zu den Schaukeln hinter deiner Schule. Ich möchte dir etwas geben.«

    »Woher weiß er, dass wir Schaukeln hinter der Schule haben?« Ruth setzte sich verwirrt hin.
    Val zuckte die Achseln. »Vielleicht hat die Krähe es ihm verraten.«
    »Und, was glaubst du, was gibt das?«, fragte Ruth. »Eine heiße kleine Troll-Einlage?«
    »Du bist so was von eklig. Absolut widerwärtig«, kreischte Val, warf noch mehr Blätter auf Ruth und machte das Chaos perfekt. Dann grinste sie: »Also, egal was es ist, ich werde ihn meiner Mom jedenfalls nicht vorstellen.«
    Jetzt kreischte Ruth.

    Als sie an diesem Abend das Haus verlassen wollte, kam Val an ihrer Mom vorbei, die vor dem Fernseher saß, in dem sich eine Frau Kollagen in die Lippen spritzen ließ.
    Einen Augenblick lang verkrampften sich Vals Muskeln beim Anblick der Nadel, suchte ihre Nase nach dem vertrauten Geruch nach verbranntem Zucker, und ihre Adern wanden sich wie Würmer in ihren Armen. Doch tief in ihren Eingeweiden brannte der Ekel mindestens genauso stark wie der Hunger.
    »Ich mache einen Spaziergang«, sagte sie. »Bis später.«
    Als Vals Mutter sich umdrehte, stand ihr die Panik im Gesicht.
    »Ich geh nur spazieren«, sagte Val, aber damit kam sie gegen die ungefragten und unbeantworteten Fragen nicht an, die zwischen ihnen standen. Ihre Mutter tat so, als hätte es
den letzten Monat gar nicht gegeben. Sie machte höchstens vage Andeutungen wie »als du weg warst« oder »als du nicht hier warst«. Hinter diesen Worten erstreckte sich ein schwarzes Meer der Angst, und Val wusste nicht, wie sie darauf segeln sollte.
    »Bleib nicht zu lange weg«, sagte ihre Mutter mit schwacher Stimme.
    Der erste Schnee war gefallen und hatte die Äste in Ärmel aus Eis gehüllt und ließ den Himmel taghell erscheinen. Als Val zum Spielplatz hinter der Schule ging, fielen frische Flocken.
    Ravus war schon da, eine schwarze Gestalt auf einer Schaukel, die zu klein für ihn war. Er hatte sich vorgebeugt, um die Ketten nicht zu berühren. Er trug einen Schutzschild, damit seine Zähne weniger vorstanden, seine Haut weniger grün war, aber ansonsten sah er aus wie er selbst. Er trug einen langen schwarzen Mantel und hielt in seinen behandschuhten Händen ein blitzendes Schwert auf dem
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