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Elfenherz

Titel: Elfenherz
Autoren: Holly Black
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und ging durch das Drehkreuz. Dann übergab sie die Karte durch das Gitter an Dave und sah Val an: »Kommst du?«
    Val nickte.
    »Stell dich vor mich«, sagte Dave und wartete.
    Sie ging zum Drehkreuz, er zog die Karte durch und drückte sich dann an sie, wodurch er sie beide gleichzeitig durchschob. An ihrem Rücken spürte sie seinen muskulösen Körper und roch Rauch und ungewaschene Klamotten. Val lachte und taumelte leicht.
    »Ich erzähle dir noch was, was du nicht weißt«, sagte Lolli und hielt mehrere Karten hoch. »Das sind Zahnstocher-U-Bahn-Karten. Du musst einfach Zahnstocher in ganz kleine Teile brechen und in die Maschine drücken. Die Leute zahlen, aber ihre Karte bekommen sie nicht zurück. Das ist wie eine Hummerfalle. Man kommt später wieder und checkt den Fang.«
    »Oh.« Val drehte sich schon der Kopf, so betrunken und verwirrt war sie. Sie wusste nicht mehr, was wirklich war und was Einbildung.
    Lollipop und Dave gingen ans vordere Ende des U-Bahnsteiges, aber statt dort stehenzubleiben und auf die Bahn zu warten, sprang Dave in den Schacht mit den Gleisen. Ein paar Leute, die auf ihre Bahn warteten, sahen zu ihm herüber und schauten dann schnell wieder weg, aber die meisten Wartenden merkten anscheinend
nichts. Lolli folgte Dave etwas linkisch, indem sie sich an den Rand setzte und sich von ihm halb herunterheben ließ. Das kribbelige Kätzchen hielt sie fest an die Brust gedrückt.
    »Wo gehen wir hin?«, fragte Val, aber die beiden verschwanden bereits in der Dunkelheit. Als Val auf den müllübersäten Beton sprang, fand sie es selbst völlig durchgeknallt, dass sie zwei Leuten hinterherlief, die sie gar nicht kannte, und das in den Schlund eines U-Bahn-Schachts. Aber sie hatte keine Angst, im Gegenteil: Sie freute sich. Von nun an wollte sie ihre eigenen Entscheidungen treffen, auch wenn sie fatal waren. Sie hatte das gleiche schöne Gefühl, wie wenn sie einen Zettel in winzige Stückchen zerriss.
    »Pass bloß auf, dass du nicht an die dritte Schiene kommst, sonst bist du erledigt«, rief Dave von irgendwo weiter vorne.
    Die dritte Schiene? Val schaute nervös nach unten. Die mittlere, er musste die mittlere meinen. »Und wenn eine Bahn kommt?«, fragte sie.
    »Siehst du die Nischen?«, rief Lolli. »Drück dich da rein, wenn eine kommt.«
    Val warf einen Blick zurück auf den Bahnsteig, der zu hoch war, um ihn zu erklimmen. Vor ihr lag die Dunkelheit, gespickt mit Lämpchen, die zu winzig erschienen, als dass sie richtiges Licht abgaben. Raschelnde Geräusche in nächster Nähe - und dann spürte Val kleine Pfoten auf ihrem Sneaker. Nun kam die Panik, auf die sie die ganze Zeit
gewartet hatte, und überwältigte sie. Val blieb stehen; sie konnte sich nicht mehr rühren vor Angst.
    »Komm.« Lollis Stimme erreichte sie aus der Finsternis. »Geh weiter.«
    Val hörte in der Ferne eine Bahn rattern, aber sie war nicht in der Lage zu sagen, wie weit sie weg war oder gar auf welchem Gleis sie fuhr. Sie rannte los, um Lolli und Dave einzuholen. Sie hatte sich noch nie im Dunkeln gefürchtet, aber das hier war etwas anderes. Die Dunkelheit kam ihr lebendig vor, etwas, das mit eigenen Lungen atmete und stoßweise Gestank in den Tunnel ächzte.
    Es stank unerträglich nach Fäule und Nässe. Val spitzte die Ohren und lauschte auf die Schritte der beiden anderen. Sie hielt den Blick fest auf die Lichter gerichtet, wie auf eine Fährte aus Brotkrumen, die sie aus der Gefahr führte.
    Auf der anderen Seite der Gleise rauschte eine Bahn vorbei und betäubte sie durch die plötzliche Helligkeit und den wütenden Lärm. Sie spürte den Luftzug, als geriete alles in diesem Tunnel in seinen Sog. Wäre die Bahn auf ihrer Seite gekommen, hätte sie nie im Leben Zeit genug gehabt, eine Nische zu suchen.
    »Hier.« Die Stimme war nah, überraschend nah. Sie war sich nicht sicher, ob es Lolli war oder Dave.
    Val begriff, dass sie an einem Bahnsteig stand, der genauso aussah wie der, von dem sie herkamen. Nur waren hier die Mauern mit Graffiti besprüht. Auf dem Betonboden lagen Matratzen übereinander, darauf Decken,
Kopfkissen und Sofakissen - überwiegend in Variationen von Senfgelb. Kerzenstummel gaben trübes Licht ab, die einen standen in den ausgestanzten Löchern von Bierdosen, andere in hohen Glasbehältern mit einem Etikett, auf dem das Gesicht der Jungfrau Maria zu sehen war. Neben einem Hibachi-Grill, der am hinteren Ende des Bahnsteiges aufgebaut war, saß ein Junge, der sein dichtes Haar zu
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