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Eisprinzessin

Eisprinzessin

Titel: Eisprinzessin
Autoren: Lisa Graf-Riemann
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anderer, der hier täglich ein und aus geht, und mehr Gefühl sowieso. Und abgesehen davon auch noch eine unleugbare Augenweide, schillernd und notorisch positiv.
    »Alles, was ein Mann schöner ist als ein Aff’, ist Luxus«, zitierte Meißner spontan aus der Weltliteratur.
    »Geil! Wer hat das denn gesagt? Oder ist das von dir?«
    »Leider nein. Friedrich Torberg war’s, ein Österreicher.«
    »War er schwul?«

VIER
    Mit Fischers Eröffnung war Meißners grandiose Pechsträhne losgegangen. Irgendwie wollte es in diesem Jahr für ihn einfach nicht rundlaufen. Für eine Midlife-Crisis war er eigentlich schon fast zu alt, wobei er ja mit allem ein bisschen spät dran war. Mit Fischers Glück hatte quasi sein Unglück angefangen, und dann kam auch schon der nächste Schlag. Das Schlimmste war der aber immer noch nicht, nur der Auftakt zu etwas noch Schlimmerem.
    Manchmal geht es Schlag auf Schlag, da lässt sich das Leben nicht lange bitten, da haut es dann auch auf solche ein, die schon am Boden liegen, gnadenlos ist es dann, das Leben. Christen glauben in einer solchen Situation gern an eine Serie von Prüfungen, Esoteriker meinen, das Universum stelle ihnen Aufgaben, die es gelte, auf dieser Daseinsstufe zu meistern. Denn ohne Lösen der Aufgaben gibt es kein Weiterkommen, dann droht einem die Existenz als Salatkopf oder einsame Schildkröte.
    Meißner jedenfalls begann ein bisschen christlich, ein bisschen esoterisch, aber vor allem ängstlich und mit einer guten Portion Selbstmitleid, sich als Hiob zu fühlen und furchtsam auf den nächsten Nackenschlag des Lebens zu warten. Er wusste es irgendwie, ahnte es voraus, obwohl er es weder im Urin noch in der kleinen Zehe spürte, eher ganz tief in den Eingeweiden, wo nach der chinesischen Medizin ja alles Unglück und ebenso alles Glück sitzt.
    Der Tag hatte damit begonnen, dass er vor dem Rathaus beinahe über einen Wagen gefallen war. Über ein blaues Fahrzeug, das aussah wie ein Rasenmäher zum Aufsitzen oder einer von den kleinen Traktoren, mit denen im Winter Schnee geräumt wurde. Auf dem unkippbaren Kleintraktor saß ein Mann. Er trug einen beigefarbenen Blouson, hatte eine Halbglatze und rauchte, ohne die Hände dafür zu benutzen. Eigentlich war der Fahrer in seinem Wagen nicht zu übersehen, und doch war Meißner fast über ihn gestolpert. Wo war der jetzt so schnell hergekommen? Hatte er schon dagestanden, als Meißner aus der Altstadt auf den Rathausplatz hinausgetreten war? Seine Zigarette war halb geraucht, die Hände des Mannes steckten in den Taschen des Blousons. Meißner entschuldigte sich, aber der Mann schwieg, sah ihn nur an und sog an seinem dünnen Tabakstängel, der, wie Meißner jetzt sehen konnte, selbst gedreht war, mit zerknittertem Papier, durch das die Tabakbrösel schimmerten wie spitze Knie durch eine dünne Hose. Genau da hatte Carola angerufen und sich für den nächsten Tag, einen Samstag, mit ihm zum Joggen verabreden wollen. »Zum Joggen?«, hatte er sich gewundert. Er hatte gedacht, sie wolle sich vielleicht mit ihm unterhalten.
    »Joggen, ja. Kann dir doch nicht schaden, oder?«, hatte sie geantwortet, und er hatte am Telefon unwillkürlich den Bauch eingezogen. Er und Joggen. Er hatte eher an das Stadtcafé gedacht, Cappuccino, dazu ein Stück Johannisbeer-Baiser oder Erdbeersahne, seinetwegen auch eine Bionade, Kombucha Cranberry oder Ingwer-Irgendwas, was Carola so gern bestellte. Gesunde Ernährung und Fitness, das alles war total wichtig für sie. Er war da ja eher der Genusstyp.
    »Kann man sich denn beim Joggen überhaupt unterhalten?«, fragte er.
    »Natürlich«, sagte sie, »man soll sowieso nur so schnell laufen, dass man, ohne zu schnaufen, noch mühelos reden kann. Bei dem Tempo funktioniert auch die Fettverbrennung am optimalsten.«
    Also mussten sie nur noch beim gleichen Tempo Fett verbrennen und er nicht schon nach Luft japsen, während sie noch ganz relaxed dahintrabte, dann wäre alles gut.
    * * *
    Am Samstagmorgen kramte er im Schrank nach seinen Sportklamotten, fand, dass das Lauf-T-Shirt an den Hüften etwas spannte und seine Beine immer dünner wurden, was nicht gerade zur Verbesserung des Gesamtbildes beitrug. An den Schuhen, die er nach längerem Suchen endlich im Keller fand, klebten noch Erdbrocken und bräunliches Gras vom letzten Lauf, der vielleicht ein, zwei Jahre – zwei Jahre? – zurücklag. Mein Gott, warum hatte er nicht einfach Nein gesagt und ein Treffen im Café vorgeschlagen? Manchmal
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