Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eisprinzessin

Eisprinzessin

Titel: Eisprinzessin
Autoren: Lisa Graf-Riemann
Vom Netzwerk:
ebenso wie ihre Begrüßung verschlafen hatte, drehte Carola sich zu ihm um. »Ich muss dir was sagen.«
    Meißner dachte sich noch nichts dabei. Er war auf nichts gefasst, er ahnte und roch nichts. Wieder einmal war er nicht auf der Hut.
    Schwarze Tage haben die Angewohnheit, sich nicht anzukündigen. Man stolpert über sie wie über eine Bordsteinkante und schlägt der Länge nach hin wie ein Idiot. Alle anderen haben das Unglück natürlich längst kommen sehen und schauen einem nun genüsslich dabei zu, wie man sich mit blutigen Knien aus der Horizontalen wieder in eine menschenwürdige Position bringt.
    Meißner lief neben Carola her wie ein ergebenes und außerdem hechelndes Hündchen, als sie ohne weitere Umschweife zum Punkt kam.
    »Ich habe einen Vaterschaftstest machen lassen«, sagte sie.
    Er wollte fragen: »Was, du? Kennst du deinen Vater etwa nicht?«, kapierte dann aber doch, was sie meinte. Und plötzlich wünschte er sich sonst wohin, zur Not sogar an den Start des Ingolstädter Halbmarathons oder in die Box-Fabrik, nur weg von hier. Es ging natürlich darum, wer Konstantins Vater war. Er, Stefan Meißner, langjähriger Ex-Lebensgefährte von Carola, oder Thomas, genannt Tom, ihr derzeitiger Partner. Konstantins Empfängnis hatte in der Zeit des fließenden Übergangs von einem Mann zum nächsten stattgefunden. Meißner war sozusagen der Heimathafen gewesen, während am Horizont, allerdings schon in Sicht- und Fühlweite, bereits der Mast der neuen, schöneren Segeljacht aufgetaucht war.
    Weglaufen war zwecklos, eine Herzattacke vortäuschen lächerlich, weshalb ihm nur blieb, die schlichteste aller Fragen zu stellen.
    »Und?« Doch er kannte die Antwort schon. Er konnte sie förmlich riechen, er konnte sie an Carolas Augen und an ihrer Körperhaltung ablesen. Sie war erschlafft, drückte Mitleid aus, das er im selben Augenblick, als er es wahrnahm, auch schon hasste.
    »Thomas ist der Vater von Konstantin«, sagte sie, und Meißners Herz machte einen raschen Doppelschlag wie ein stolperndes Pferd. »Er freut sich so darüber«, schickte sie noch hinterher, als würde sie ihn mit dem aufgesetzten Bajonett noch einmal kurz pieksen.
    Ich hätte mich auch so gefreut, schrie es in ihm, aber Carola konnte es natürlich nicht hören, also redete sie einfach weiter.
    »Du bist frei, Stefan«, war das Letzte, was er noch hörte, und es dröhnte in seinen Ohren wie der Paukenschlag zu Beginn von Beethovens Fünfter, der sogenannten Schicksalssymphonie. Er warf noch einen Blick in den Rennwagen. Konstantin hatte jetzt ein Auge geöffnet und sah ihn damit an, als habe er verstanden, worum es hier ging. Was er davon hielt, konnte Meißner nicht erkennen, aber er zwinkerte dem Kleinen freundlich zu.
    Frei? Oh, süße Freiheit, schmetterte es in ihm. Er hatte ein Kind gewollt auf seine alten Tage, keine Freiheit – und jetzt erkannte er messerscharf, dass es mit dem Wunsch erst einmal vorbei war.
    Er konnte nicht anders, als seinem imaginären Pferd die Sporen zu geben und zu laufen, davonzurennen und sich nicht mehr umzudrehen. Er hob die Hand und winkte Carola unbeholfen zu. Er war irgendwie nicht richtig im Kopf, einfach nicht normal, das war nun sonnenklar, aber das hatte er im Grunde schon immer gewusst und Carola wahrscheinlich auch. Warum sonst hatte sie ihn schließlich verlassen und sich von einem anderen ein Kind machen lassen? Andere Männer hätten das anders angepackt, hätten gewusst, wie man mit so einer Situation umging, was das sozial verträglichste Verhalten gewesen wäre. Aber er konnte jetzt einfach nicht anders. Und die Sache zu lösen war sowieso unmöglich. Er musste einfach nur weg. Der Schmerz, der sich in seiner Brust zusammenballte wie ein Tornado, löschte alles andere aus: den Baggersee, die Laufstrecke, halb Ingolstadt, seinen Meniskusschaden, seine zu kurzen Sehnen am Außenknie, die Plattfüße und das perfekte, wenn auch etwas kühle Samstagswetter gleich dazu.

FÜNF
    Schon Ende September flog Strahlemann Fischer wieder nach Ibiza. Wie viele SMS , Chats, Mails, Skype-Anrufe, Handy- und Festnetztelefonate er in der Zwischenzeit mit seinem Promifriseur geführt beziehungsweise ausgetauscht hatte, das konnte man nur ahnen. Bestimmt Hunderte.
    Die Liebe überlebte die ersten vier Wochen mit nicht nachlassender Intensität. Kriminalkommissar Elmar Fischer tat seinen Dienst wie eh und je und trug seine Hemden mit den psychedelischen Mustern in den gewohnten Neonfarben. Von einem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher