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Eisprinzessin

Eisprinzessin

Titel: Eisprinzessin
Autoren: Lisa Graf-Riemann
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da war nichts.« Eberl sah so ätherisch aus, als würde er gleich in der Atmosphäre verdampfen. So gesehen war er die fürs Verschwinden viel geeignetere Person. Er zupfte an seinen Fingernägeln herum.
    Meißner sah sich um. »Ist es bei Ihnen immer so ordentlich?«, fragte er. »Oder haben Sie den ganzen Tag aufgeräumt?«
    In der großzügigen, modern eingerichteten Wohnung mit dem riesigen Südbalkon lag nichts Überflüssiges herum. Der Esstisch war leer und sauber, die Jacken waren alle ordentlich aufgehängt, die Schuhe in Schränken unsichtbar verstaut.
    Vielleicht hatte Eberl ja einen Aufräumtick. Als sie durch die Wohnung gingen, fiel Meißner auf, dass offenbar keiner der Eheleute einen Raum oder auch nur eine Ecke für sich allein beanspruchte.
    »Fehlt denn irgendetwas?«, fragte Meißner. »Haben Sie schon geschaut, ob Ihre Frau etwas mitgenommen hat?«
    »Es ist alles da, das sehen Sie doch«, sagte Eberl.
    Meißner runzelte die Stirn. »Haben Sie auch genau geschaut? Beim Schmuck zum Beispiel?«
    »Meine Frau trägt immer Schmuck. Und außer dem, den sie gestern anhatte, fehlt nichts.«
    Marlu gab Meißner von der Badtür aus ein Zeichen.
    »Was gefunden?«
    »Nur das hier«, sagte sie und hielt ihm einen Streifen Tabletten hin. Sie hatte sie unverpackt im Arzneischrank hinter einer Schachtel Aspirin gefunden.
    »Eine Ahnung, was das ist?«
    »Nein. Kam mir nur komisch vor, weil sonst alles hier im Schrank ordentlich verpackt ist.«
    Meißner notierte sich den Namen des Medikaments und nahm den Streifen mit ins Esszimmer. »Nehmen Sie oder Ihre Frau regelmäßig Tabletten?«
    Eberl schüttelte den Kopf.
    »Und von wem sind die hier?«
    Eberl nahm den Streifen, drehte ihn um und zuckte mit den Achseln. »Weiß ich nicht.«
    »Wer ist denn der Hausarzt Ihrer Frau?«
    »Dr. Koller.«
    »Vielleicht könnten Sie ihn bei Gelegenheit mal fragen, ob er ihr die Tabletten verschrieben hat.«
    »Sie«, sagte Eberl. »Dr. Koller ist eine Ärztin.«
    »Na gut. Dann reden Sie eben mit ihr . Haben Sie ein Foto Ihrer Frau griffbereit?«
    Eberl holte einen Zettel aus der Tischschublade, an den ein Passfoto seiner Frau geheftet war. Es zeigte eine hübsche junge Frau, blond, das glatte Haar auf Kinnlänge geschnitten, vorn etwas länger als hinten und spitz zulaufend wie ein Helm. Das Gesicht blass mit großen taubenblauen, fast grauen Augen. Auf dem Zettel stand: dunkelblaue Jeans, graue Bluse, brauner Parka mit Gürtel, braune Stiefeletten und schwarzer Rucksack. Die Kleidung, die seine Frau am Vortag getragen hatte. Auch ein Bild ihres Fahrradmodells hatte er ausgedruckt.
    »Suchen Sie nach einem Foto, auf dem Ihre Frau ganz abgebildet ist, kein Passfoto«, sagte Meißner. »Und drucken Sie es auf Papier aus.«
    »Sie können es in der Nachbarschaft herumzeigen und Plakate aufhängen«, sagte Marlu.
    »Sie meinen, an Bäumen und Schwarzen Brettern im Supermarkt?«, fragte Eberl. »So als wäre Charlotte eine entlaufene Katze?«
    Meißner sah, dass sich alles in ihm gegen diesen Vorschlag sträubte. »Sie können damit auch noch warten.«
    »Warten, warten. Was glauben Sie denn, was ich hier die ganze Zeit tue? Können Sie eigentlich auch irgendwann etwas unternehmen, oder werden Sie fürs Warten bezahlt?«
    »Der Kollege im Präsidium hat Ihnen doch bestimmt erklärt, warum wir nicht viel tun können. Ihre Frau darf sich frei bewegen und aufhalten, wo immer sie will.«
    »Der Kollege hat gesagt, dass Sie noch warten, bis es irgendein Anzeichen dafür gibt, dass es sich um einen Unfall oder ein Verbrechen handelt. Aber wie soll dieses Anzeichen aussehen? Muss man Charlotte erst tot oder verletzt auffinden, bevor gehandelt wird?«
    »Haben Sie denn schon in den Krankenhäusern der Umgebung angerufen?«, fragte Marlu. »Schaffen Sie das allein oder möchten Sie, dass ich Ihnen dabei helfe?«
    Er nickte.
    »Dann geben Sie mir mal das Telefonbuch, damit ich loslegen kann.«
    »Und ich schau währenddessen bei der Arbeitsstelle Ihrer Frau vorbei«, bot Meißner an. »Ist da um diese Uhrzeit noch jemand?«
    »Bestimmt, die bieten ja auch Abendkurse an.«
    »Und wie heißt die Schule noch mal?«
    »›Lingua nova‹, in der Dollstraße.«
    Meißner fand den Aufgang zur Sprachenschule zwischen zwei Ladeneingängen. Die Eingangstür im zweiten Stock war nur angelehnt, ein Stück Stoff war zwischen Tür und Rahmen eingehängt. Der Empfang war nicht besetzt, aber es war jemand da. Er lauschte an den einzelnen Türen entlang
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