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Einfach Abschalten

Einfach Abschalten

Titel: Einfach Abschalten
Autoren: William Powers
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gingen online.

    Eines Samstagabends sahen uns William und ich auf dem On-demand-Kanal unseres Kabelsenders den Horrorfilmklassiker Blob, Schrecken ohne Namen aus den Fünfzigern an, als das Unglück geschah. Acht Minuten vor Ende des Films, als Steve McQueen in einem Diner festsaß, den der Blob gerade samt und sonders verschlingen wollte, wurde der Bildschirm plötzlich schwarz. Als wir versuchten, den Film neu zu starten, stellten wir fest, dass er im On-demand-Menü nicht mehr zu finden war. Wir riefen bei der örtlichen Videothek an, aber die hatte den Film nicht im Bestand. Unsere einzige Option war das Internet; wir konnten davon ausgehen, dass wir den Film dort irgendwo würden anschauen können.
    Und das machten wir dann auch. Für den Blob haben wir den Sabbat gebrochen. Wir fanden eine grisselige Raubkopie, die jemand in mehreren Teilen bei YouTube hochgeladen hatte, und sahen uns das Ende an. Es hatte dafür in keiner Hinsicht eine dringende Notwendigkeit bestanden. Im Sinne des Sabbat war es eine schwere Sünde. Aber, sagte ich mir, es war im Dienste familiären Zusammenseins, das wir ja fördern wollten. Die Tatsache, dass wir uns deswegen so große Gedanken gemacht hatten, zeigte mir aber, dass wir es doch weit gebracht hatten. Rationalisierungen, ich weiß. Aber als wir erst einmal wussten, was mit Steve McQueen passiert ist – puh –, da haben wir den Router auch wieder ausgeschaltet.
    Von Donald Winnicott, einem der großen Freudianischen Psychoanalytiker des letzten Jahrhunderts, stammt ein Aufsatz mit dem Titel »Die Fähigkeit zum Alleinsein« 205 ; er behandelt die Fähigkeit kleiner Kinder, emotionales Selbstbewusstsein aufzubauen. Er sagt, ein Baby lerne das Alleinsein nicht durch Isolation, sondern durch die Fähigkeit, in Anwesenheit der Mutter allein, für sich zu sein. Dies ist möglich, wenn die Mutter in der Nähe ist, ohne besondere Aufmerksamkeit aufs Kind zu richten. Wenn das Kind das spürt, begreift es sein Getrenntsein von der Mutter und beginnt zu verstehen, dass es allein sein und sich immer noch sicher und geborgen fühlen kann.
    Es erscheint paradox, dass man das Alleinsein lernen kann, wenn man mit jemandem zusammen ist, aber Winnicott behauptet, dass die Stärke des Alleinseins genau in diesem Paradox liege. Ohne die Existenz anderer Leute und das Wissen darum hätte das Alleinsein keine Bedeutung. Daher kann nur ein Kind, das auf diese Weise, mit der Mutter irgendwo in der Nähe, seine Erfahrung mit dem Alleinsein macht, die Qualität des Für-sich-Seins begreifen und sein »personales Selbst« entdecken. Kinder, die diese Entdeckung nicht machen können, werden niemals ihre volle Reife erreichen, so Winnicott, und werden ein unechtes Leben führen, das auf äußeren Stimuli basiert.
    Es gibt eine Parallele zu unserer Erfahrung mit dem Internet-Sabbbat. Wir waren keine Kleinkinder, aber wir waren von äußeren Stimuli abhängig geworden. Und mit der Zeit hatte diese Abhängigkeit unser Familienleben in etwas verwandelt, das nicht mehr viel mit uns zu tun hatte, mit unserer besten Seite sowieso nicht. Es war ein unwahrhaftiges Leben, ein Leben, das unserer wahren Natur als Menschen und dem wahren Sinn unserer Familie nicht entsprach. Dadurch, dass wir den Router ausgeschaltet haben, ist die Welt nicht verschwunden. Sie war noch da, gleich vor unserer Tür. Aber wie die Mutter, die eine Weile nicht auf ihr Kind achtet, interagierte sie nicht mit uns, machte keine spaßigen Gesten oder gurrenden Geräusche, um für unsere Stimulierung und Unterhaltung zu sorgen. Wir hatten entdeckt, dass unsere Bildschirme unser gemeinsames Leben infantilisiert hatten. Und wir haben als Familie die »Fähigkeit zum Alleinsein« zurückerobert, die wir verloren hatten. Es war, wie noch einmal groß zu werden.
    Keine unserer Online-Beziehungen wurde auf dem Altar des Sabbat geopfert und auch sonst kein Bestandteil unseres digitalen Lebens. Wir haben lediglich eine Reihe von Internetaktivitäten unterlassen, denen wir sonst in dieser 48-stündigen Zeitspanne nachgegangen wären, wovon wir fast alle auch während der Woche erledigen konnten. Das digitale Medium ermöglicht es, alles für eine spätere Verwendung aufzuheben. Es war immer noch da, nur ein wenig weiter weg. Die Vorstellung, dass wir die Masse und den übervölkerten Teil unseres Lebens so auf Abstand halten konnten, gab uns auf subtile, aber bedeutsame Weise das Gefühl von Stärke. Es erinnerte uns daran, dass es an uns war, für
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