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Eine Handvoll Worte

Titel: Eine Handvoll Worte
Autoren: Jojo Moyes
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eingeliefert wurde. »Das wird schon wieder«, sagte er dann und tätschelte ihr die Hand. »Seien Sie so gut und versuchen Sie nicht, es zu erzwingen.«
    Dann war da noch ihre Mutter, die kleine Geschenke mitbrachte, Seife, gutes Shampoo, Zeitschriften, als wollten alle sie in die Person zwängen, die sie offensichtlich einmal war. »Wir haben uns solche Sorgen gemacht, Jenny, mein Schätzchen«, sagte sie und legte ihr eine kühle Hand an den Kopf. Es fühlte sich gut an. Nicht vertraut, aber gut. Gelegentlich fing ihre Mutter an, etwas zu sagen, und murmelte dann: »Ich darf dich nicht mit Fragen erschöpfen. Alles wird wiederkommen. Die Ärzte sagen das. Daher musst du dich nicht sorgen.«
    Sie sei nicht besorgt, wollte Jenny ihr sagen. In ihrer kleinen Seifenblase war es recht friedlich. Sie spürte nur eine vage Traurigkeit, dass sie nicht diejenige sein konnte, die alle erwarteten. An diesem Punkt wurden die Gedanken zu verworren, und sie schlief unweigerlich wieder ein.
    Schließlich wurde sie an einem Morgen nach Hause entlassen, an dem es so kalt war, dass sich die Rauchfahnen am hellblauen Winterhimmel über der Hauptstadt wie kahles Geäst abzeichneten. Inzwischen konnte sie hin und wieder durch die Station gehen, Zeitschriften mit den anderen Patienten austauschen, die mit den Schwestern plauderten und gelegentlich Radio hörten, wenn sie Lust dazu hatten. Ihr Arm war ein zweites Mal operiert worden und verheilte gut, wie man ihr sagte, obwohl die lange rote Narbe an der Stelle, an der die Platte eingesetzt worden war, sehr empfindlich war, und Jenny versuchte, sie unter einem langen Ärmel zu verbergen. Ihre Augen hatte man einem Test unterzogen, ihr Gehör war untersucht worden; ihre Haut war nach den unzähligen, durch Glassplitter verursachten Schnittwunden verheilt. Die Prellungen waren verblasst, und die gebrochene Rippe und das Schlüsselbein waren so gut zusammengewachsen, dass sie im Liegen schmerzfrei verschiedene Positionen einnehmen konnte.
    Im Grunde genommen, behaupteten sie, sehe sie wieder aus »wie die Alte«, als würde sie sich daran erinnern, wer das war, wenn man es nur oft genug wiederholte. Ihre Mutter durchwühlte unterdessen Stapel von Schwarz-Weiß-Fotos, um ihr das Leben Jennifers wieder in Erinnerung zu bringen.
    Sie erfuhr, dass sie seit vier Jahren verheiratet war. Kinder gab es keine – aus der gedämpften Stimme ihrer Mutter schloss sie, dass alle ein wenig enttäuscht darüber waren. Sie wohnte in einem sehr schicken Haus in einem sehr guten Stadtteil Londons, mit Haushälterin und einem Fahrer, und jede Menge junger Damen hätten sich offensichtlich die Finger danach geleckt, nur halb so viel zu haben wie sie. Ihr Mann war ein hohes Tier im Bergbau und oft unterwegs, obwohl seine Hingabe so weit ging, dass er seit dem Unfall mehrere sehr wichtige Geschäftsreisen verschoben hatte. Die Hochachtung, mit der das Krankenhauspersonal über ihn sprach, zeigte ihr, dass er tatsächlich recht wichtig war und sie infolgedessen ebenfalls einen gewissen Respekt erwarten konnte, auch wenn es ihr widersinnig vorkam.
    Niemand hatte viel darüber verlauten lassen, wie sie dorthin gekommen war, obwohl sie einmal einen verstohlenen Blick auf die Notizen des Arztes geworfen hatte und wusste, dass sie einen Autounfall gehabt hatte. Als sie ihre Mutter einmal über die Geschehnisse ausgequetscht hatte, war diese rot angelaufen, hatte ihre pummelige Hand auf Jennifers gelegt und sie gedrängt, »nicht darüber nachzudenken, Liebes. Es war alles … furchtbar aufregend.« Ihre Augen hatten sich mit Tränen gefüllt, und da Jennifer sie nicht aus der Fassung bringen wollte, hatte sie das Thema fallen lassen.
    Ein geschwätziges Mädchen mit einem orangefarbenen Haarschopf war aus einer anderen Abteilung des Krankenhauses gekommen, um Jennifer die Haare zu schneiden. Danach, so sagte ihr die junge Frau, würde sie sich viel besser fühlen. Jennifer hatte am Hinterkopf Haare verloren – sie waren abrasiert worden, um eine Wunde zu nähen –, und die junge Frau verkündete, sie könne Wunder bewirken, solche Wunden zu verbergen.
    Eine gute Stunde später hielt sie mit einem Tusch einen Spiegel hoch. Jennifer betrachtete die Frau, die ihr daraus entgegenstarrte. Ziemlich hübsch, dachte sie, mit einer Art distanzierter Zufriedenheit. Zerschrammt, ein wenig blass, aber ein annehmbares Gesicht. Mein Gesicht, verbesserte sie sich.
    »Haben Sie Ihre Kosmetika griffbereit?«, fragte die Friseurin.
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