Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Eine Handvoll Worte

Titel: Eine Handvoll Worte
Autoren: Jojo Moyes
Vom Netzwerk:
glaubte, herausgefunden zu haben, was sie waren, bewegten sie sich wieder. Blau. Sie waren blau.
    »Du weißt, wer gerade von oben hereingekommen ist, ja?«
    Eine der Stimmen wurde leiser. »Eddie Cochranes Freundin. Die den Autounfall überlebt hat. Sie hat Songs für ihn geschrieben. Vielmehr im Gedenken an ihn.«
    »Sie wird nicht so gut sein, wie er war, jede Wette.«
    »Den ganzen Morgen hat sie Zeitungsleute bei sich gehabt. Die Oberschwester ist mit ihrem Latein am Ende.«
    Sie konnte nicht verstehen, was sie sagten. Der Schmerz in ihrem Kopf war zu einem pochenden, sausenden Geräusch geworden, wurde noch umfangreicher und intensiver, bis sie nur noch die Augen schließen und darauf warten konnte, dass es, oder sie, verschwand. Dann kam das Weiß, einer Woge gleich, und umfing sie. Dankbar stieß sie leise den Atem aus und ließ sich in die Umarmung zurückfallen.
    »Sind Sie wach, Liebes? Sie haben Besuch.«
    Über ihr war ein flackernder Reflex, ein Trugbild, das sich schnell bewegte, hierhin und dorthin. Plötzlich kam ihr die Erinnerung an ihre erste Armbanduhr, wie sie das Sonnenlicht mit dem Glasgehäuse an die Decke des Spielzimmers geworfen und hin und her bewegt hatte, woraufhin ihr kleiner Hund anfing zu bellen.
    Da war das Blau wieder. Sie sah, wie es sich bewegte, begleitet vom Rascheln. Dann war eine Hand an ihrem Handgelenk, ein kurzer, schmerzhafter Funke, bei dem sie aufschrie.
    »Ein bisschen vorsichtiger mit der Seite, Schwester«, schalt die Stimme. »Das hat sie gespürt.«
    »Tut mir entsetzlich leid, Mr Hargreaves.«
    »Der Arm muss noch einmal operiert werden. Wir haben ihn an mehreren Stellen genagelt, aber es haut noch nicht hin.«
    Eine dunkle Gestalt ragte über ihren Füßen auf. Sie bot ihre ganze Willenskraft auf, um sie zu stabilisieren, doch sie weigerte sich ebenso wie die blauen Gestalten, und sie ließ die Augen wieder zufallen.
    »Sie können sich zu ihr setzen, wenn Sie wollen. Mit ihr sprechen. Sie kann Sie hören.«
    »Wie sehen ihre … anderen Verletzungen aus?«
    »Es wird Narben geben, fürchte ich. Besonders an dem Arm. Und sie hat einen ziemlichen Schlag am Kopf davongetragen, daher kann es eine Weile dauern, bis sie wieder die Alte ist. Aber in Anbetracht der Schwere des Unfalls können wir wohl sagen, dass sie einigermaßen glimpflich davongekommen ist.«
    Kurzes Schweigen trat ein.
    »Ja.«
    Jemand hatte eine Schüssel mit Obst neben sie gestellt. Sie hatte ihre Augen wieder aufgeschlagen, richtete ihren Blick darauf, bis Form und Farbe sich verfestigt hatten und sie zufrieden begriff, dass sie erkannte, was es war. Weintrauben, dachte sie. Und noch einmal wälzte sie das Wort still in ihrem Kopf: Weintrauben. Das war ihr wichtig, als würde es sie in dieser neuen Realität verankern.
    Dann waren die Trauben so schnell wieder verschwunden, wie sie gekommen waren, ausgelöscht von der dunklen, blauen Masse, die sich neben ihr niedergelassen hatte. Als sie näher kam, nahm sie schwachen Tabakgeruch wahr. Die Stimme, die dann ertönte, war behutsam, vielleicht sogar ein wenig verlegen. »Jennifer? Jennifer? Kannst du mich hören?«
    Die Wörter waren so laut; seltsam aufdringlich.
    »Jenny, Liebes, ich bin’s.«
    Sie fragte sich, ob man ihr noch einmal einen Blick auf die Weintrauben gewähren würde. Das erschien ihr notwendig; kräftig, purpurrot, fest. Vertraut.
    »Sind Sie sicher, dass sie mich hören kann?«
    »Ziemlich, aber mag sein, dass sie die Kommunikation zunächst erschöpft.«
    Sie vernahm ein Murmeln, das sie nicht zu deuten wusste. Vielleicht hatte sie aber einfach nur den Versuch aufgegeben. Nichts schien klar. »Kannst … du …«, flüsterte sie.
    »Aber ihr Verstand ist nicht zu Schaden gekommen? Beim Unfall? Wissen Sie, ob es bleibende …?«
    »Wie gesagt, ihr Kopf hat einen ordentlichen Stoß abbekommen, aber medizinisch gesehen gibt es keinen Grund zur Sorge.« Papier raschelte. »Kein Bruch. Keine Hirnschwellung. Aber das kann man nicht immer vorhersehen, und Patienten sind unterschiedlich betroffen. Sie müssen daher einfach ein wenig …«
    »Bitte …« Ihre Stimme war ein kaum hörbares Murmeln.
    »Mr Hargreaves! Ich glaube, sie versucht tatsächlich zu sprechen.«
    »… ich möchte sehen …«
    Ein verschwommenes Gesicht kam zu ihr herab. »Ja?«
    »… ich möchte …« Die Weintrauben sehen, bettelte sie. Ich möchte einfach noch einmal die Weintrauben sehen.
    »Sie möchte ihren Gatten sehen!« Die Schwester sprang auf, als sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher