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Eine Handvoll Worte

Titel: Eine Handvoll Worte
Autoren: Jojo Moyes
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aussieht. Ausschließlich Lungenkrankheiten, stellt sie abwesend fest. Hat irgendetwas mit Bergbau zu tun. Sie will den ganzen Kram schon in den Mülleimer werfen, als ihr Blick auf eine hellblaue Ecke fällt. Sie zieht mit Zeigefinger und Daumen daran und holt einen handgeschriebenen Umschlag heraus. Er ist geöffnet worden, und der Brief darin trägt das Datum 4. Oktober 1960.
    Meine einzige, wahre Liebe,
    was ich gesagt habe, war auch so gemeint. Ich bin zu dem Schluss gekommen, der einzige Weg nach vorn besteht darin, dass einer von uns eine kühne Entscheidung trifft.
    Ich bin nicht so stark wie du. Als ich dir zum ersten Mal begegnete, hielt ich dich für ein zerbrechliches, kleines Ding, für jemanden, den ich beschützen musste. Jetzt ist mir klar, dass ich mich getäuscht habe. Du bist die Starke, die ein Leben mit dieser Liebe ertragen kann, die wir niemals ausleben dürfen.
    Ich bitte dich, mich nicht wegen meiner Schwäche zu verurteilen. Ich kann das alles nur aushalten an einem Ort, an dem ich dich nie sehen werde, nie von der Möglichkeit gequält werde, dich mit ihm zu sehen. Ich muss irgendwo sein, wo schiere Notwendigkeit dich in jeder Minute, jeder Stunde aus meinen Gedanken vertreibt. Das kann hier nicht sein.
    Ich werde die Stelle annehmen. Am Freitagabend werde ich um 7.15h am Bahnhof Paddington sein, Gleis 4, und nichts auf der Welt würde mich glücklicher machen, als wenn du den Mut fändest, mit mir zu gehen.
    Wenn du nicht kommst, werde ich wissen, dass das, was immer wir füreinander empfinden, nicht ganz reicht. Ich will dir keinen Vorwurf machen, Liebling. Ich weiß, die letzten Wochen haben dich unerträglich unter Druck gesetzt, und ich spüre dieses Gewicht deutlich. Ich verabscheue den Gedanken, ich könnte dir Unglück bringen.
    Ich werde ab Viertel vor sieben auf dem Bahnsteig warten. Du sollst wissen, dass du mein Herz, meine Hoffnungen in den Händen hältst.
    Dein B
    Ellie liest den Brief ein zweites Mal und stellt fest, dass ihre Augen sich unerklärlicherweise mit Tränen füllen. Sie kann den Blick nicht von der großen, geschwungenen Handschrift lösen; die Unmittelbarkeit der Worte springt sie noch an, nachdem sie über vierzig Jahre verborgen waren. Sie dreht das Blatt um und sucht auf dem Umschlag nach Hinweisen. Er ist adressiert an PO Box 13, London. Es könnte ein Mann oder eine Frau sein. Was hast du gemacht, PO Box 13?, fragt sie im Stillen.
    Dann steht sie auf, steckt den Brief vorsichtig wieder in den Umschlag und geht an ihren Computer. Sie öffnet die Mailbox und drückt auf »aktualisieren«. Nichts seit der Nachricht, die sie um fünf vor acht erhalten hat.
    Muss zu einem Dinner, meine Schöne. Tut mir leid – bin schon spät dran. Bis später x

Teil I

Ich kann das alles nur aushalten an einem Ort, an dem ich dich nie sehen werde, nie von der Möglichkeit gequält werde, dich mit ihm zu sehen. Ich muss irgendwo sein, wo schiere Notwendigkeit dich in jeder Minute, jeder Stunde aus meinen Gedanken vertreibt. Das kann hier nicht sein.
    Ich werde die Stelle annehmen. Am Freitagabend werde ich um 7.15h am Bahnhof Paddington sein, Gleis 4, und nichts auf der Welt würde mich glücklicher machen, als wenn du den Mut fändest, mit mir zu gehen.
    Mann an Frau, per Brief

1
    1960
    S ie wacht auf.«
    Man hörte ein Rascheln, ein Stuhl wurde über den Boden gezogen, dann das helle Klicken von aufeinandertreffenden Vorhangringen. Zwei leise Stimmen.
    »Ich hole Mr Hargreaves.«
    Ein kurzes Schweigen trat ein, in dem sie sich langsam einer anderen Geräuschebene bewusst wurde – Stimmen, durch die Entfernung gedämpft, ein vorbeifahrendes Auto: Eigenartig, es schien ein ganzes Stück unter ihr zu sein. Im Liegen nahm sie es in sich auf, ließ es Gestalt annehmen, spielte in Gedanken Fangen, während sie ein Geräusch nach dem anderen zuordnete.
    An diesem Punkt wurde ihr der Schmerz bewusst. Er arbeitete sich in erlesenen Etappen hoch: zunächst ihr Arm, ein scharfes Brennen vom Ellbogen bis zur Schulter, dann ihr Kopf: dumpf, unbarmherzig. Der Rest ihres Körpers tat weh, so wie zu dem Zeitpunkt, als sie …
    Als sie …?
    »Er kommt sofort. Wir sollen die Fensterläden schließen.«
    Als sie …?
    Ihr Mund war so trocken. Sie presste die Lippen aufeinander und schluckte unter Schmerzen. Sie wollte um Wasser bitten, doch die Wörter wollten nicht kommen. Sie schlug die Augen einen Spaltbreit auf. Zwei undeutliche Gestalten bewegten sich um sie herum. Jedes Mal, wenn sie
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