Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Art von Zorn

Eine Art von Zorn

Titel: Eine Art von Zorn
Autoren: Ambler
Vom Netzwerk:
beschrieb die Suche sehr ausführlich. Die Presse war bereitwillig an die Arbeit gegangen und zwar nicht nur in Frankreich. Italienische, spanische und auch deutsche Zeitungen brachten Titelgeschichten. Allem Anschein nach war die französische Polizei sehr hilfsbereit gewesen. Neben den Fotografien aus Zürich hatte sie allen Massenmedien ein Bernardidossier zur Verfügung gestellt, das auch die Ergebnisse der neuesten polizeilichen Nachforschungen enthielt. Ihr Vater hatte in Nizza ein Elektrogeschäft gehabt. Im Jahre 1958 war er mit seiner Frau bei einem Autounfall auf der Corniche ums Leben gekommen. Sie war das einzige Kind und hatte alles geerbt. Die Summe, zwei Millionen alte Francs, die der Testamentsvollstrecker aus dem Verkauf des Geschäfts gelöst hatte, wurde bis zu ihrer Volljährigkeit verwaltet. Eine Zeitlang wohnte sie bei einer Tante, einer Schwester ihrer Mutter, in Menton, und arbeitete als Lehrmädchen bei einer Modezeichnerin. Als sie mit 21 über ihr Geld verfügen konnte, tat sie sich mit einer älteren Frau, Henriette Colin, zusammen. Die beiden eröffneten in Amibes eine supermoderne Strandmodeboutique. Nach zwei Sommern mußten sie sie wieder zusperren. Henriette ging nach Nizza und arbeitete in einem Kaufhaus. Lucia beschloß, nach Paris zu gehen. Ihr war noch etwa ein Viertel ihrer Erbschaft verblieben.
    Das einzige Lebenszeichen in den nächsten zwei Jahren war ihre Unterschrift auf Weihnachtskarten. Die Tante in Menton und Henriette Colin hatten die gleichen erhalten. Im ersten Jahr kamen sie von St. Moritz, im zweiten aus Zürich. Keine der beiden Frauen hatte den Versuch unternommen, sich mit ihr in Verbindung zu setzen. Die Tante verdächtigte, so die Polizei, ihre Nichte eines unmoralischen Lebenswandels und fürchtete eine Bestätigung ihres Verdachts. Henriette Colin ( Partout machte eine schüchterne Anspielung auf lesbische Liebe) fühlte sich gekränkt, weil Lucia die persönliche und geschäftliche Beziehung abgebrochen hatte. Andere französische Freunde wurden gesucht und befragt – mit demselben Ergebnis. Nachforschungen in Deutschland, Italien, Spanien waren ebenso fruchtlos gewesen.
    Der unvermeidliche Schluß war: Wenn Lucia Bernardi noch in Frankreich lebte, dann in Verkleidung, unter einem falschen Namen und mit einem falschen Paß.
    Mit falschem Pathos resümierte Partout: »Irgendwo – in einem Häuschen auf dem Land, geborgen in der Villa eines reichen Mannes oder unbeachtet im Gewimmel der Großstadt – liest Lucia Bernardi vielleicht diese Zeilen und lächelt. Sie hat den Schlüssel zum Geheimnis. Die Frage ist nur: Wird sie sich zeigen und ihn hergeben.«
    Bis auf den heutigen Tag war die Antwort ein klares ›Nein‹. Das Dossier enthielt einige biographische Angaben über Arbil, aber nur zwei neuere Zeitungsausschnitte von Interesse.
    Eine Nachrichtenagentur zitierte einen jordanischen Regierungsbeamten, der den Mord an Arbil als die Tat ägyptischer Terroristen bezeichnet hatte.
    Reuter meldete aus Bern, daß ein Neffe aus Kirkuk im Irak um die Überführung von Arbils Leiche ersucht habe, und daß dies so bald als möglich per Flugzeug geschehen werde.
IV
    »Vielleicht ist sie auch tot?« fragte ich.
    »Wunschdenken, Piet.« Sy sah so müde aus, wie ich mich fühlte.
    Das New Yorker Flugzeug mit dem ›Sack‹ (wie Mr. Cust zu sagen pflegte) hatte an diesem Tag Verspätung, und wir warteten auf den Redaktionsboten, der ihn am Flugplatz abholen sollte.
    »Selbstmord ist auch eine Form des Untertauchens. Ich habe in einer Statistik gelesen, daß ein ganz schöner Prozentsatz von Vermißten sich als Selbstmörder herausstellt.«
    »Warum soll sie sich umbringen? Zugegeben – sie ist vor irgend etwas davongelaufen, vor der Polizei, aus Angst vor der Zeugenaussage, was weiß ich? Aber sie ist ja entkommen. Warum soll sie sich dann umbringen?«
    »Auf Panik folgt Depression.« Ich sah, daß er peinlich berührt war, als ich so beiläufig über Selbstmord sprach, fuhr aber trotzdem fort: »Zwar wissen wir nur wenig über sie, aber das wenige ist bezeichnend. Sie verliert ihre Eltern, läßt sich mit einer Lesbierin ein, fängt ein Geschäft an, das pleite geht, verliert dreiviertel ihres Vermögens, trennt sich von Verwandten und Bekannten. Vielleicht betreibt sie sogar klandestine Prostitution. Auf jeden Fall wird sie zu guter Letzt die Maîtresse eines politischen Flüchtlings, der doppelt so alt ist wie sie. Und der wird gefoltert und dann erschossen. Keine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher