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Ein Totenhemd fur einen Erzbischof

Ein Totenhemd fur einen Erzbischof

Titel: Ein Totenhemd fur einen Erzbischof
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Dienerinnen hatten ihr Gepäck bereits an Bord verstaut und ihre Plätze eingenommen. Einer der Männer hatte Fidelmas Taschen ins Boot gestellt und schickte sich an, ihr an Bord zu helfen.
    Einen Augenblick standen Fidelma und Eadulf einander noch gegenüber und schauten sich in die Augen, dann brach Fidelma den Bann durch ein schelmisches Grinsen. Sie wandte sich um, stieg leichtfüßig ins Heck des Bootes und ließ sich auf einer der Bänke nieder.
    Mit einem heiseren Schrei stießen sich die Ruderer ab. Einige Sekunden lang trieb das Boot im Wasser, dann tauchten sie mit einem weiteren Schrei ihre Ruder ins Wasser, um das Boot mit raschen Schlägen stromabwärts zu steuern.
    Fidelma hob die Hand und winkte der immer kleiner werdenden Gestalt Bruder Eadulfs zu, der ganz allein auf dem Steg zurückgeblieben war. Erst als er hinter einer Biegung des Flusses verschwand, wandte sie den Blick vom Ufer ab.
    Die Ruderer stimmten ein Lied an, das ihnen bei ihrer harten, von der heißen Mittagssonne noch erschwerten Arbeit half:
     
    Der Himmel klart auf, der Sturm hat sich gelegt,
unsre Mühe zähmt alles, was sich bewegt …
    Heia ulri! Nostrum reboans echo sonet heia!
    Holt auf, Männer! Ein schallendes Echo
    soll unsre Schläge vorwärts tragen!
     
    Fidelma seufzte leise, lehnte sich auf ihrer Bank zurück und ließ den Blick über das vorüberziehende Flußufer schweifen. Bald hatten sie die Hügel Roms mit ihren dichtgedrängten Häusern und Anlegeplätzen hinter sich gelassen. Das Land war kahl und baumlos, und auch der Fluß hatte nichts mehr von der Schönheit des großen Tiber an sich, die man Fidelma einst so eindringlich gepriesen hatte.
    Nur hin und wieder kamen sie an einer von Kiefern gekrönten Anhöhe vorbei, und auf den wenigen Feldern wuchs spärliches Korn. Fidelma hielt sich vor Augen, daß die Armee Kaiser Constans’ erst vor kurzem durch diese Gegend gezogen war. Menschen, nicht die Natur, hatten diese Ödnis geschaffen.
    Wie Fidelma sich erinnerte, teilte sich der Fluß um die Isola Sacra genannte Insel und ergoß sich zwischen den Hafenstädten Ostia und Porto ins Mittelmeer. Die Einfahrt nach Rom durch die tiefliegenden stagni oder salzigen Sümpfe konnte man zwar nicht gerade malerisch nennen, aber Ostia und Porto waren nun einmal von alters her die beiden Häfen Roms, in denen Schiffe aus allen Ländern der Welt vor Anker gingen.
    Die Landschaft veränderte sich, und das Sonnenlicht spiegelte sich im silbrigen Grün unzähliger Olivenbäume. Anders als die brachen Getreidefelder hatten die Olivenhaine Constans’ Plünderungen unbeschadet überstanden. Doch in welchem Gegensatz stand diese helle, silbrige Farbe zu dem Grün, das Fidelma aus ihrem Heimatland kannte, zu den üppigen, schattenspendenden Bäumen, die im gemäßigten Klima Irlands so prächtig wuchsen und gediehen. Sie dachte an die von Fuchsienbüschen gesäumten Wege, die safrangelb gefleckten, grauen Granitfelsen an der steinigen Küste, an die breiten, grünen Hügel und tiefen, dunklen Täler, an die von Brombeerhecken, Heidekraut und Nesseln gesäumten Wälder, an Eiben, Haselnüsse und Geißblatt.
    Erstaunt stellte Fidelma fest, daß sie Heimweh hatte. Ihr wurde klar, wie sehr sie sich darauf freute, in ihr Heimatland zurückzukehren, ihre eigene Sprache zu hören, sich geborgen zu fühlen, zu Hause zu sein. Was hatte Homer geschrieben? «Kann ich für mein Teil, als das eig’ne Land, doch sonst nichts Süßeres erblicken.» Vielleicht hatte er recht.
    Sie betrachtete die vorüberziehende Landschaft, und ihre Gedanken wanderten zurück zu Eadulf. Warum hatte sie beim Abschied solche Trauer empfunden? Versuchte sie, aus ihrer Freundschaft mit Eadulf mehr zu machen, als in Wirklichkeit vorhanden war? Hatte Aristoteles recht, wenn er sagte, daß Freundschaft nur eine einzige Seele kennt, die in zwei Körpern wohnt? Hatte sie deshalb das Gefühl, daß ihr etwas fehlte? Wütend auf sich selbst, preßte sie die Lippen zusammen. Wie so oft versuchte sie, ihren Gefühlen durch vernünftige Überlegungen auf den Grund zu kommen, anstatt ihnen einfach nachzuspüren. Die Empfindungen anderer Menschen zu verstehen fiel ihr hingegen meist nicht schwer. Wer sagte noch gleich: «Arzt, hilf dir selbst»? Fidelma konnte sich nicht erinnern. Es gab ein altes Sprichwort in ihrer eigenen Sprache: «Jeder Kranke ist zugleich auch Arzt.» Eine Wahrheit, die sie sich zu Herzen nehmen sollte.
    Fidelmas Blick schweifte über das Flußufer und seine
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