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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition)
Autoren: Doris Lessing
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die gelernt hatten, auf ihren Körper zu achten, weil die schreckliche Gefahr drohte, sich unschicklich zu benehmen, sprachen ihre Augen für sie. Ihr Blick traf bis ins Herz, und wenn sie die zarten Lider über das blaue Augenpaar senkte – für ihn Einladungen zur Liebe –, fühlte er sich zurückgewiesen. Vor wenigen Tagen hatte er seine Schwestern in Sussex gesehen, fröhliche Wildfänge, die den Bilderbuch-Sommer genossen, der in unzähligen Memoiren und Romanen gefeiert wurde. Sie hatten Betty, die Freundin einer Schwester, aufgezogen, weil sie mit kräftigen braunen Armen zum Essen erschienen war, auf denen weiße Kratzer zeigten, dass sie im Heu mit den Hunden gespielt hatte. Seine Familie hatte ihn beobachtet, um zu sehen, ob ihm dieses Mädchen gefiel, das eine passende Ehefrau abgeben würde, und er war bereit gewesen, darüber nachzudenken. Dieses kleine deutsche Fräulein jedoch wirkte auf ihn so glamourös wie eine Schönheit, auf die man in einem Harem einen flüchtigen Blick erhascht, die ganz Versprechen ist und verborgenes Glück, und er stellte sich vor, dass sie schmelzen würde wie eine Schneeflocke, wenn ein Sonnenstrahl sie traf. Als sie ihm eine rote Rose aus dem Garten schenkte, wusste er, dass sie ihm ihr Herz anbot. Im Mondlicht erklärte er ihr seine Liebe und sprach am nächsten Tag mit ihrem Vater. Ja, er wisse, dass vierzehn zu jung sei, aber er bitte um die offizielle Erlaubnis, um sie anzuhalten, wenn sie sechzehn sei. Und so trennten sie sich, 1914 , als der Krieg zu brodeln begann, aber wie so viele liberale, gut situierte Leute fanden es die von Arnes wie auch die Lennox lächerlich, dass Deutschland und England Krieg führen sollten. Als der Krieg erklärt wurde, hatte Philip seine Liebe vor gerade zwei Wochen in Tränen zurückgelassen. Seinerzeit sahen sich die Regierungen veranlasst zu verkünden, dass ein Krieg zu Weihnachten vorbei sein musste, und die Liebenden waren sicher, dass sie sich bald wiedersehen würden.
    Kaum war sie erwacht, wurde Julias Liebe auch schon vom Fremdenhass vergiftet. Ihre Familie hatte nichts dagegen, dass sie ihren Engländer liebte – nannten die jeweiligen Herrscher sich nicht Cousins? –, aber die Nachbarn machten Bemerkungen, und die Dienstboten tuschelten und klatschten. Die ganzen Kriegsjahre über wurden Julia und ihre Familie von Gerüchten verfolgt. Ihre drei Brüder kämpften im Schützengraben, ihr Vater war beim Kriegsministerium, und ihre Mutter leistete Kriegsdienst, doch diese wenigen fiebrigen Tage im Juli 1914 hatten genügt, um sie alle Bemerkungen und Verdächtigungen auszusetzen. Trotzdem verlor Julia nie ihren Glauben an ihre Liebe und an Philip. Zweimal wurde er verwundet, sie hörte auf verschlungenen Wegen davon und weinte um ihn. Mochte er auch noch so schwer verwundet sein, schrie Julias Herz, sie würde ihn ewig lieben. 1919 wurde er aus dem Kriegsdienst entlassen. Sie wartete auf ihn, in dem Wissen, dass er kommen würde, um seine Ansprüche auf sie geltend zu machen, und dann trat ein Mann in das Zimmer, in dem sie fünf Jahre zuvor geflirtet hatten, und sie wusste, dass sie ihn kennen musste. Ein leerer Ärmel war an seine Brust geheftet, und sein Gesicht war angespannt und gezeichnet. Sie war jetzt beinahe zwanzig. Er sah eine hochgewachsene junge Frau – sie war ein gutes Stück größer geworden – mit blondem Haar, das hoch aufgetürmt war und von einem großen Pfeil aus Gagat gehalten wurde, und sie trug lastendes Schwarz für zwei tote Brüder. Ein dritter Bruder, ein Junge – er war nicht einmal zwanzig –, war verwundet worden und saß noch immer in Uniform da, ein steifes Bein auf einem Schemel abgestützt. Die beiden, die vor Kurzem noch Feinde gewesen waren, starrten einander an. Dann ging Philip, ohne zu lächeln, mit ausgestreckter Hand auf ihn zu. Der junge Mann schreckte unwillkürlich zurück und verzog das Gesicht, doch dann fing er sich, und die Zivilisation war wiederhergestellt, er lächelte sogar, und die beiden Männer gaben sich die Hand. Auf dieser Szene, die sich seither in verschiedenen Formen wiederholt hat, lag eine Last, die damals noch nicht so groß war, wie sie heute wäre. Die Ironie, die jenes Element feiert, das wir ständig aus unserer Sicht auf die Dinge verbannen, hätte man damals nicht ertragen: Wir sind grobfaseriger geworden.
    Und die beiden Liebenden, die sich nicht wiedererkannt hätten, wenn sie auf der Straße aneinander vorbeigegangen wären, mussten sich
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