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Ein süßer Sommer

Ein süßer Sommer

Titel: Ein süßer Sommer
Autoren: Hammesfahr Petra
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dass wir uns noch gar nicht richtig miteinander bekannt gemacht hatten. Das Versäumnis wurde augenblicklich nachgeholt. Ihre rechte Hand, die gerade in einer Jackentasche nach einem Pfefferminzbonbon gewühlt hatte, streckte sich mir mitsamt dem Bonbon entgegen. Doch das fiel ihr noch rechtzeitig auf, und sie machte aus der Not ein Angebot.
    «Nehmen Sie ruhig, ich habe genug davon.» Die kleinen Zähne blitzten mich wieder an. Alles an ihr, mit Ausnahme der Augen, war so klein. Das Gesicht, die Füße, die Hände. Feste, warme Kinderhände mit brauner Haut und kurzen, rund gefeilten Fingernägeln. Es war ein sonderbares Gefühl, sie für einen Moment zu halten, den festen Druck zu erwidern und dabei ebenfalls zu lächeln. Vielleicht kam dabei ein wenig Sympathie auf. Sie wirkte so unbekümmert und tatendurstig, als ob die malträtierten Weltmeere, die Seine, der Po, der Rhein und die Adria nur auf eine Candy hofften. Vertrauensselig, als könne kein Mensch auf dumme Gedanken kommen, wenn sie bereitwillig mitteilte, dass sie den Lohn von sieben Monaten harter Arbeit, mit Beiträgen der Familie auf die runde Summe von siebentausend Mark gebracht, in dem Gürtel unter dem T-Shirt um die Taille trug. 22 Abgesehen davon, dass allein schon ihre Taille den einen oder anderen auf dumme Gedanken hätte bringen können. Ich stellte mich mit vollem Namen vor, Michael Schröder. Ihren Familiennamen erfuhr ich vorerst nicht, bei einer Reisebekanntschaft konnte der nur stören. Einfach nur Candy, bitte. So wurde sie seit Jahr und Tag genannt. Genau genommen hieß sie Candida. Ihre Mutter hatte den Namen für sie ausgesucht. Das klang, als sei damit alles erklärt. Und es klang ein wenig verhangen. Die Munterkeit in ihrer Stimme war mit einem Mal wie ausgelöscht. Sie schaute mich auch nicht mehr an, wie sie es die ganze Zeit über getan hatte, drehte das Gesicht zum Fenster und betrachtete die vorbeihuschende Landschaft. Doch ich war zu müde, um dem auf Anhieb eine besondere Bedeutung beizumessen. Ihre Mutter hatte George Bernard Shaw geliebt, vor allem dieses eine Stück von ihm, nach der gleichnamigen Figur Candida benannt. Das erfuhr ich noch. Ich hatte damals noch nichts von dem Stück gehört und weiß bis heute nicht, worum es darin geht. Später habe ich zwar ein paar Mal daran gedacht, es zu lesen. Getan habe ich es nie, weil ich anfangs meinte, in frischen Wunden sollte man nicht herumstochern. Und irgendwann war es nicht mehr wichtig. Es hätte sie doch nicht wieder lebendig gemacht.

2. Kapitel
    Wenn ich geahnt hätte, was aus all dem wurde, hätte ich wohl kaum kurz nach sieben das Abteil verlassen. Ich wäre geblieben, hätte ihr weiter und sehr aufmerksam zugehört. Doch zu dem Zeitpunkt brandeten mir die Wogen zweier Ozeane durch den Schädel. Mein Gehirn war vermutlich ebenso mit Dünnsäure verklappt wie die Nordsee, länger als drei Stunden an einem Stück hatte Candy schon auf mich eingeredet. Zwischen sechs und sieben hatte ich mir in allen Einzelheiten anhören müssen, warum sie sich für Meeresbiologie als Studienfach entschieden hatte und sich gar nicht vorstellen konnte, etwas anderes zu tun. Es hatte nicht nur mit Verbundenheit zu ihrem Geburtsort zu tun. Vordringlich ging es natürlich um die Verschmutzung der Weltmeere. In der Folge kam ein Kapitel über das Robbensterben, den grässlichen Tod der Seevögel und dessen Ursache, das von Ölpest verklebte Gefieder. Candy vertrat die radikale Ansicht, dass man die Verursacher nicht mit Geldstrafen belegen, sondern sie vielmehr in der Brühe schwimmen lassen sollte. Natürlich ohne sie wieder herauszufischen. Und das galt prinzipiell für jede Art von Straftat oder Vergehen. In dem Punkt hatte die Bibel ihrer Meinung nach absolut Recht. Auge um Auge! Zahn um Zahn! Nur so war für die Zukunft vielleicht noch etwas zu retten. Dad meinte das auch, und der musste es wissen, jedenfalls soweit es eine Ölpest betraf. Dad war nämlich Meeresbiologe. Als Candy begann, mir Dads Ansichten und Beweggründe zu offenbaren, fand ich, dass ich eine Pause verdient hätte. Eine halbe Stunde Ruhe, nur ein bisschen Klappern von Geschirr und Besteck, vielleicht noch dezentes Gemurmel von den Nebentischen.  Als ich mich erhob und mit dem Hinweis, eine Kleinigkeit zu mir nehmen zu wollen, die Abteiltür zur Seite schob, lächelte sie arglos und erkundigte sich, ob es im Speisewagen tatsächlich so teuer sei, wie man sagte. Als sie anfügte, dass sie sich eigentlich einen
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