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Ein Stueck vom Himmel

Ein Stueck vom Himmel

Titel: Ein Stueck vom Himmel
Autoren: Karl Lukan
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den Dolomitenführern Angelo Dibona und Luigi Rizzi mit den Brüdern Guido und Max Mayer aus Wien erstbegangen. Kurze Zeit galt sie als schwerste Felskletterei der Alpen. Das war in den Jahren, in denen die Herren zwar noch steife Kragen und Hüte trugen, aber in kurzer Zeit auch jede »schwierigste Kletterei der Alpen« durch eine noch schwierigere übertreffen wollten.
    Einer der besten Kletterer dieser Zeit war der Münchner Otto Herzog. Er hatte schon vor den Erstbegehern einen Durchstiegsversuch der Lalidererwand unternommen, musste ihn aber in einem Wettersturz abbrechen. Herzog war es auch, der als Erster Feuerwehr-Schnappringe zum Einhängen seines Kletterseils in Sicherungshaken benützte. Das waren damals noch Ringhaken. Um das Seil in den Ring einfädeln zu können, mussten sich die Kletterer vorher aus der Seilsicherung lösen und diese nachher wieder neu knüpfen. Eine Krampfiade war das. Heute denkt niemand mehr an den Mann, der den Kletterkarabiner erfunden hatte.
    Wir standen vor der Lalidererwand und für Lois war es die Wand seines Lebens. Von ihr hatte er in seinem fensterlosen Kabinett geträumt, für sie hatte er auf den kleinen Felsen in Wiens Umgebung viele Jahre trainiert. Einmal hatte ich ihn gefragt, warum er ausgerechnet von der Lalidererwand so schwärmt. »A Foto hab i von ihr g’sehn«, sagte er – »und seither ist die Wand in meinem Schädel drin!«
    Eine Liebe auf den ersten Blick.
    In der Falkenhütte waren wir die einzigen Nächtigungsgäste. Nur um die Mittagszeit kamen ab und zu Wanderer, aßen eine Suppe und zogen wieder dahin. Es gab weder Telefon noch Radio in der Hütte, also auch keine Wettervorhersage. Aber man sagte uns, dass nach den Viechern und dem Jochwind das Wetter gut bleiben würde.
    Bei blauem Himmel stiegen wir in die Wand ein. Man hatte uns gesagt, dass die Karwendelwände sehr brüchig seien. Wir sind daher vorher an der Mitzi-Langer-Wand im Wienerwald nur im linken Wandteil geklettert, der so brüchig ist, dass man bloß einmal husten muss und schon gibt’s Steinschlag. Man hielt uns für verrückt, weil wir für diesen Bruchhaufen Karwendel Bruchklettern übten, wo es doch so viele andere Wände mit festem Fels gibt. Lois lächelte dabei nur still wie einer, der von einem großen Schatz weiß.
    Doch unser Klettern an der Bruchwand im Wienerwald hatte sich gelohnt: Wir hatten in der Lalidererwand das Gefühl, in eisenfestem Fels zu klettern.
    Gegen Mittag hatten wir die schwerere Hälfte der Wand unter uns. Kurze Rast. Unser Tourenproviant: ein Stück Brot.
    Und dann wurde die Luft plötzlich warm und schwer. Auch unsere Stimmen klangen auf einmal ganz anders. Nebel fiel wie ein Wasserfall die Wand herab, hüllte uns ein und alles wurde grau. Ein dumpfes Grollen war zu hören ...
    Dann geschah alles so schnell.
    Klatschend schlugen schwere Tropfen auf den Fels, die bald zu Hagelkörnern wurden, und es dauerte nimmer lang und wir standen in einem wüsten Schneesturm. Noch glaubten wir, dass der ganze Zauber nur ein vorüberziehendes Gewitter sei. Es war aber der Beginn eines Schlechtwettereinbruchs.
    So begann das größte Abenteuer meines Lebens. Heute gibt es Abenteuerschulen, können Abenteuerreisen und Abenteuerurlaube gebucht werden. In Wirklichkeit spürt man bei einem echten Abenteuer gar nicht, dass man ein Abenteuer erlebt.
    Im Nebel und Schneetreiben sahen wir höchstens zwei Meter Fels über uns. Sozusagen im Blindflug kletterten wir so lange höher, bis mächtige Überhänge den Weiterweg sperrten. Ich erinnerte mich an die Routenskizze: Unterhalb der Überhänge führte der Weiterweg nach links.
    Ein 40 Meter langer Quergang, den ich machte, wurde dann eindeutig zur allergrauslichsten Kletterstelle meines Lebens: moos- und sandbedeckte Felsen, auf denen außerdem Neuschnee lag. Lois wollte diesen Quergang barfuß klettern. Wir alle waren nach dem Krieg Barfußkletterer, Kletterschuhe waren Mangelware. Auf unseren Hausbergen kletterten wir immer barfuß, nur in hochalpinen Wänden benützten wir die kostbaren Kletterschuhe. Deren Filzsohlen (Manchon) waren aber sehr rutschfreudig, schwere Kletterstellen kletterten wir lieber barfuß. (Noch 1951 hatte Leo Seitelberger auch die zweite Solobegehung der Großen-Zinne-Nordwand barfuß gemacht.)
    Langsam kam Loisl nach. Ich sah ihn nicht in dem Nebel und Schneetreiben, ich hörte nur sein Fluchen ... und plötzlich einen lauten Schrei!
    Mit klammen Fingern hatte Lois die Kletterschuhe mit den Socken
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