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Ein Strandkorb für Oma

Ein Strandkorb für Oma

Titel: Ein Strandkorb für Oma
Autoren: Janne Mommsen
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man manchmal auch nicht genauer fragen. Zum Beispiel, warum ich mal eine halbe Stunde lang die Fernbedienung gesucht und sie schließlich im Kühlschrank gefunden habe. Dabei war es ganz einfach zu erklären: du telefonierst kurz in der Werbepause eines guten Films mit der Fernbedienung in der Hand und suchst gleichzeitig im Kühlschrank etwas zu essen. Da fehlt dir eine Hand. Also legst du die Fernbedienung kurz ab, im selben Moment erfährst du am Telefon etwas Sensationelles, haust die Kühlschranktür zu – und weg ist sie.
     
    Plötzlich brechen die Wolken auf, und das Himmelslicht beschreibt die Marsch mit kräftigem, sattem Grün und trunkenem Blau, wie Curaçao. Der starke Wind bringt all diese Farben zum Tanzen und mischt sie nach Belieben. Die Hunde toben auf uns zu und setzen sich hechelnd vor Oma auf den Asphalt. Oma wirft einen gelben Ball die Straße hinunter, um den sie sich balgen, als hinge ihr Leben davon ab.
    «Wie war der Malkurs mit Jade?», erkundige ich mich.
    Womit ich mich endlich traue, mich der Kernfrage zu nähern.
    «Gut.» Kommt da noch was?
    Normalerweise hätte Oma mir brühwarm jede Einzelheit berichtet und über alles und jeden gelästert.
    «Habt ihr was von dem Diebstahl mitbekommen?»
    Oma legt ihre knochige Hand auf mein Handgelenk und beruhigt mich: «Nein.»
    «Weißt du, welches Bild sie geklaut haben?»
    «Nein.»
    «Das ‹Friesische Mädchen› von 1940.»
    «So?»
    Sie tut so, als hätte sie den Titel nie gehört.
    «Bist du da drauf?», bohre ich nach.
    «Keine Ahnung, es ist ja verschollen.»
    «War es bis jetzt.»
    «Ich habe es nicht gesehen, was kann ich also sagen? Möglich ist alles. Und jetzt Schluss damit, Sönke!»
    So einfach kann ich nicht lockerlassen, es geht um zu viel.
    «Wieso bist du mit Jade durchs Fenster abgehauen?»
    Ihr Kopf schießt herum.
    «Quatsch.»
    Sie ist wirklich empört.
    «Ich habe es selber gesehen.»
    Sie legt ein sarkastisches Lächeln auf: «Von Nieblum aus, kilometerweit entfernt.»
    «Jemand hat mir Aufnahmen von einer Überwachungskamera zugespielt.»
    Oma überlegt angestrengt, dann wird ihr Gesicht plötzlich hilflos und leer.
    «Ich … erinnere mich nicht.»
    Sie wirkt betroffen über sich selbst. Und seltsam, ich glaube ihr.
    Die Polizei allerdings würde ihren Gedächtnisverlust anzweifeln und sie notfalls irgendwohin einweisen.
    Ein schreckliches Schweigen legt sich einen Moment zwischen uns, bis sich Oma innerlich aufbäumt und richtig laut wird: «Wer glaubt, dass ich mit zarten 76 Jahren ein Bild klaue?»
    Auf der DVD war nur zu sehen, dass etwas Eckiges, Flaches in Omas Tasche steckte, als sie aus dem Fenster kletterte. Ob es das besagte Bild war, konnte ich nicht erkennen. Das frage ich lieber genauer bei Jade nach, die war ja dabei.
    «Der Täter fordert die Postleitzahlen von vor 1993 zurück, nur dann gibt er es wieder.»
    «Mann, es gibt vielleicht Verrückte …»
    Als sie das sagt, liegt plötzlich so eine Nuance in ihrem Gesicht, die mir wieder vertraut und äußerst wach vorkommt. Ich weiß genau, wann Oma spielt und wann nicht. Deswegen kann ich eindeutig sagen, dass sie jetzt nicht die Wahrheit sagt.
    «Weißt du deine noch?», frage ich.
    «2270 Wyk», kommt es sofort.
    Ihr Langzeitgedächtnis ist voll da.
    Obwohl ich in der Zeit etliche Briefe nach Föhr an Maria und Oma geschickt habe, hätte ich das nicht mehr gewusst.
     
    Oma gähnt herzhaft und lehnt sich an einen Zaunpfahl, ihre Energie geht sichtlich in den Keller. Der Wind ist immer noch heftig. In ihrem Zustand wird sie den Rückweg kaum schaffen.
    Also was tun? Ein Taxi rufen?
    Von ferne nähert sich über den schmalen landwirtschaftlichen Nutzweg ein Mofafahrer, der einen Fahrradfahrer mit seinem rechten Arm neben sich herschiebt. Als sie näher kommen, erkenne ich auf dem Rad eine Frau in dunklem Ledermantel: Jade. Sie sitzt auf dem alten, rostigen Fahrrad von Opa, das Jahre unbenutzt im Keller gestanden hat. Da sie spontan bei Oma übernachtet hat, musste sie sich aus Omas Schminkkoffer bedienen. Ihre Leichenblässe ist einem gesunden, dezent gebräunten Teint gewichen, die schwarze Farbe um ihre Augen ist leicht verlaufen.
    Der strohblonde Mofafahrer ist ungefähr so alt wie sie und im Gegensatz zu ihr naturbraun. Er trägt ein weißes Blouson, über seinem schwarzen T-Shirt baumelt ein Goldkettchen mit einem Seepferdchen. Sein roter Helm baumelt lässig am Lenker.
    «Moin, Jade, mien Deern», ruft Oma begeistert. «Du hast ja schnell
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