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Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition)

Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition)
Autoren: Maryla Krüger
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deiner Nudeln. Und wir machen uns an den frischen Schinken.«
    Anna nahm den Brief des Jugendamtes, ging ins Wohnzimmer und sah, wie Claudia und Steffi am Boden vor dem Fernsehapparat saßen und kichernd einen Liebesfilm anschauten. Auf dem Bildschirm näherte sich der Held gerade männlich-charmant auf der Couch der Heldin und beabsichtigte ganz offensichtlich, weitere Maßnahmen zu ergreifen.
    »Kinder. Das ist doch kein Film für euch.«
    Claudia lachte. »Aber Tantchen. Ist doch nichts passiert. Wird auch nichts passieren. Sieh mal. Zuerst wird er sie küssen …«
    »Macht er schon«, feixte Steffi.
    »Und dann wird er, wenn überhaupt, mit leicht feuchten Augen seine Krawatte ablegen und die Kamera wird, schwenk-schwenk, den Rosenstrauß ins Visier nehmen und langsam ausblenden.«
    »Der Film ist nämlich von neunzehnhundertsechzig«, bemerkte Steffi.
    »Na und?«
    »Neunzehnhundertsechzig blendete man nach der Küsserei und dem Rosenstrauß aus.«
    »Aha. Und heute?«
    »Auch nach der Küsserei und beim Rosenstrauß.«
    »Was ist dann der Unterschied?«
    »Damals war’s der Rosenstrauß mit furchtbar viel Gefiedel und Klavier im Hintergrund. Heute steht der Rosenstrauß vor einem Spiegel, und im Spiegel sieht man …«
    »Ich habe Nachricht vom Jugendamt«, sagte Anna hastig. Sie wusste schließlich, was man alles in einem Spiegel sah. »Eine gute Nachricht. Tante Judiths Antrag wurde genehmigt. Ihr könnt Ende des Monats abreisen.«
    Claudia und Steffi schwiegen.
    »Ihr werdet euch mit Judith gut verstehen. Und München ist wirklich eine schöne Stadt. Judiths Häuschen ist zwar etwas beengt, dafür sehr gemütlich. Na ja, ihr kennt es ja. Und einen Garten habt ihr auch.«
    »Ich mache mir nichts aus Garten. Terrassenwohnungen sind nobler«, sagte Claudia und blickte aus dem Fenster.
    Anna lächelte nachsichtig. Sie wusste, wie sehr Claudia ihr sorgloses Leben vermisste, die Reitstunden, die Tennisturniere, die herrlichen Urlaube, zusammen mit den Eltern. Philip und Margareth hatten die Kinder vergöttert, hatten das Geld mit vollen Händen ausgegeben und sich über die Zukunft keinerlei Gedanken gemacht.
    Und dann diese Katastrophe! Dieses Unglück. Philip befand sich auf einer Geschäftsreise in Neuseeland. Und Margareth begleitete ihn. »Unsere zweiten Flitterwochen«, hatte sie lachend am Telefon berichtet. Karten trafen ein. Kleine Päckchen für die Kinder. Fotos. Und dann das Telegramm der Botschaft: »Mit großem Bedauern … ein Unfall.«
    Was weiter kam, war wie ein Alptraum. Die Beerdigung. Die vielen Menschen auf dem Friedhof. Die Behördengänge. Das Jugendamt. Die Kinder, wie erstarrt die erste Zeit. Oliver schreckte nachts weinend auf, erzählte, er träume von seinem Vater; wie er versucht habe, Mutter zu retten und wie beide ertranken.
    Doch die Träume wurden seltener. Steffi, für ihre dreizehn Jahre noch ziemlich klein, ging wieder auf Sport- und Kinderfeste, Claudia besuchte einen Malkurs, und Oliver, gerade acht geworden, züchtete Goldhamster und las in seinen Abenteuerbüchern. Er erzählte nichts mehr von seinen Träumen, und er weinte auch nicht mehr.
    »In einer halben Stunde gibt es Abendbrot«, sagte Anna.
    »Buchstaben?«
    »Nein. Sauerbraten.«
    »Hoffentlich nicht so verstaubt wie die Buchstaben«, antwortete Steffi und biss in einen Apfel.
    In München stand Judith unterdessen vor dem Kleiderschrank und musterte ihre Garderobe. Was trug eine fortschrittliche Mutter eigentlich? Ihr fiel auf, dass sie nur Faltenröcke besaß. Bürokleidung, wie Lilli des Öfteren ironisch bemerkte. »Blaues Röckchen, weißes Blüschen, flache Absätze«, pflegte sie zu spotten. »Man würde dich erst gar nicht grüßen, hättest du mal was anderes an.«
    Judith duschte, zog sich an, bürstete ihr Haar und betrachtete sich. Sehr, sehr brav stand sie vor dem großen Flurspiegel, mit biederem Haarschnitt, feinem, etwas fadem Gesicht, in dem nur ihre Augen auffielen und in dem die dunklen Augenbrauen viel zu breit und unregelmäßig gewachsen waren. Ihre Figur war nicht schlecht, gut proportioniert, wenn auch zäh erkämpft, und ihre Beine waren lang, mit schmalen Fesseln und kräftigen Waden. Eigentlich wirkte sie genau so, wie Hubert sich eine nette Ehefrau vorstellte, etwas Wetterfestes, Dauerhaftes, ein praktischer Trenchcoat sozusagen. Ein pfiffiger Verkäufer würde glatt vierzig Jahre Garantie auf sie geben und dabei gar nicht falsch liegen. Sie begann sich zu ärgern. Wer wollte schon
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