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Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Titel: Ein Rückblick aus dem Jahr 2000
Autoren: Edward Bellamy
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denken, daß ich dies heute getan habe. Glaube mir, daß dies keineswegs meine Absicht war. Ich weiß, daß man zu deiner Zeit von einem Mädchen erwartete, es müsse seine Gefühle verbergen, und so schwebte ich stets in großer Furcht, dir durch mein Benehmen Anstoß zu geben. Ach, wie schwer muß es doch damals für die Mädchen gewesen sein, ihre Liebe stets wie ein Verbrechen zu verheimlichen! Warum hielten sie es denn für eine Schande, jemand zu lieben, ehe dieser selbst es ihnen erlaubte? Wie komisch ist doch die Vorstellung, daß man die Erlaubnis abwarten mußte, sich zu verlieben! War es den Männern jener Zeit vielleicht unangenehm, wenn junge Mädchen sie liebten? Ich meine sicher, daß die Frauen heutzutage ganz anders empfinden, und ebenso die Männer, denke ich. Ich verstehe überhaupt nicht, warum die Frauen damals gezwungen waren, ihre Liebe zu einem Manne zu verbergen. Es erscheint mir dies ganz sonderbar, und du wirst mir in späteren Tagen die Gründe dafür erklären müssen. Ich, glaube nicht, daß Edith Bartlett so töricht wie ihre Zeitgenossinnen war.“
    Nach mehreren vergeblichen Versuchen, Abschied voneinander zu nehmen, bestand Edith darauf, daß wir uns doch endlich gute Nacht sagen müßten. Ich stand im Begriff, den „wirklich letzten Kuß“ auf ihre Lippen zu drücken, als sie mir mit unbeschreiblicher Schalkhaftigkeit sagte:
    „Eines beunruhigt mich. Bist du auch sicher, daß du Edith Bartlett ihre Ehe mit einem anderen völlig vergeben hast? Nach den auf uns gekommenen Büchern scheinen die Liebenden deiner Zeit mehr Eifersucht als wirkliche Liebe empfunden zu haben, und das veranlaßt mich zu meiner Frage. Es wäre mir eine große Beruhigung, wenn ich gewiß sein könnte, daß du nicht im geringsten eifersüchtig auf meinen Urgroßvater bist, weil dieser deine Geliebte heimgeführt hat. Wenn ich mein Zimmer aufsuche, darf ich dann dem Bilde meiner Urgroßmütter sagen, daß du ihr ihre Untreue völlig vergibst?“
    Wird mir der Leser glauben, daß der schelmische Stich – mochte es Ediths Absicht gewesen sein oder nicht – mich wirklich traf? Aber gerade dadurch heilte er mich von einem törichten, schmerzlichen Gefühl, einer Art Eifersucht, die ich unbestimmt empfand, seitdem mir Frau Leete von Edith Bartletts Verheiratung erzählt hatte. Bis zu dem Augenblick, wo Edith Leete mich neckte, und sogar als ich die Urenkelin meiner ehemaligen Braut in den Armen hielt, hatte ich mir nicht klar vorgestellt, daß ich ohne diese Heirat jetzt nicht ein glücklich Liebender sein könnte. So unlogisch sind manche unserer Gefühle! Die Verkehrtheit meines eifersüchtigen Empfindens war jedoch nicht größer als die Schnelligkeit, mit der es verschwand, als Ediths mutwillige Frage den Nebel aus meinem Geiste scheuchte. Lachend küßte ich sie.
    „Du kannst sie“, sagte ich, „meiner völligen Verzeihung versichern, obschon die Sache ganz anders liegen würde, wenn sie einen anderen als deinen Urgroßvater geheiratet hätte.“
    Es war mir schon zur Gewohnheit geworden, sobald ich des Nachts mein Zimmer betrat, das Musiktelephon zu öffnen, damit es mich durch seine besänftigenden Klänge in Schlaf einlulle. Heute ließ ich den elektrischen Knopf unberührt. Meine Gedanken waren mir die beste Musik, mit der sich selbst die der Orchester des zwanzigsten Jahrhunderts nicht zu messen vermochte, und diese Musik hielt mich in ihrem Zauberbann bis gegen Morgen, wo ich endlich einschlief.

 
28. Kapitel
Ein schlimmer Traum
     
    „Es ist etwas später geworden, als ich Sie wecken soll te, Herr West. Sie sind heute nicht so schnell wie gewöhnlich erwacht.“
    Es war meines Dieners Sawyers Stimme, die so sprach. Ich fuhr im Bette empor und starrte um mich. Ich befand mich in meinem unterirdischen Gemach. Auf die mir vertrauten Wände und Möbel fiel das mil de Licht der Lampe, die brannte, wenn ich das Zimmer benutzte. Sawyer stand an meinem Bette und hielt mir das Glas Sherry entgegen, das ich nach Doktor Pillburys Verordnung jedesmal unmittelbar nach meinem Erwachen aus dem magnetischen Schlafe trinken muß te, um die erstarrten Lebensgeister wieder anzufeuern.
    „Nehmen Sie den Sherry nur schnell“, sagte mein Diener, als ich ihn verständnislos anstarrte. „Sie können ihn gebrauchen. Sie sehen sehr verstört aus, Herr West.“
    Ich schlürfte den Trank hinunter und begann mir klarzumachen, was denn eigentlich mit mir geschehen sei. Ich fand eine höchst einfache Erklärung dafür.
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