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Ein Pakt mit dem Teufel: Roman (German Edition)

Ein Pakt mit dem Teufel: Roman (German Edition)

Titel: Ein Pakt mit dem Teufel: Roman (German Edition)
Autoren: Anne Perry
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nicht gesehen.
    »Dann hat ihr Mann sie abgemurkst«, schloss die Frau und ließ die Mundwinkel in einem Ausdruck müder Trauer nach unten sinken. »Aber wer sie is’, das weiß ich nich’. Könnte so gut wie jede sein.« Erneut strich sie sich ein paar lose Strähnen aus dem Gesicht und schob den Beutel mit der Wäsche auf ihrer Hüfte zurecht.
    Monk bedankte sich und ging weiter. Er sprach noch andere Leute an, sowohl Frauen als auch Männer, denen er dieselben Fragen stellte, und erhielt stets mehr oder weniger dieselben Antworten. Niemand erkannte die Frau anhand von Monks Beschreibung. Niemand gab zu, nach der Dämmerung, die in dieser Jahreszeit schon um fünf Uhr nachmittags einsetzte, in der Nähe des Limehouse Pier gewesen zu sein. Der Abend war trüb und feucht gewesen, sodass man kaum noch hatte arbeiten können. Niemand hatte Schreie oder irgendwelche Kampfgeräusche gehört. Jeder wollte nur nach Hause und etwas essen, sich ein wenig wärmen und später, wenn möglich, ein, zwei Pints Ale genießen.
    Um Mittag traf sich Monk wieder mit Orme. An einem Eckstand kauften sie eine Tasse heißen Tee und ein Schinkensandwich. Mit hochgeschlagenen Mantelkragen fanden sie dann in einem Hauseingang Unterschlupf und tauschten ihre Ergebnisse aus.
    »Niemand hat etwas gesehen oder gehört«, berichtete Orme betrübt. »Nicht dass ich was anderes erwartet hätte. Die Nachricht hat sich schon verbreitet, dass es eine ziemlich üble Sache ist. Plötzlich sind sie alle blind und taub.«
    »Keine große Überraschung«, brummte Monk und nippte an seinem Tee. Der war brühend heiß und etwas zu stark, aber das war er gewohnt. Kein Vergleich mit dem frischen, duftenden Tee daheim. Dieser hier war offenbar schon vor Stunden aufgebrüht und immer wieder mit kochendem Wasser übergossen worden, wenn er zur Neige ging. Er biss wieder in sein Schinkensandwich. »Ruby Jones hat es wahrscheinlich ihren Freundinnen erzählt, und die haben es an die ihren weitergetragen. Bis zum Nachmittag wird es sich in ganz Limehouse verbreitet haben.«
    »Man sollte meinen, dass sie jetzt alle Angst vor diesem Schlächter haben und ihn verhaftet sehen wollen«, stieß Orme hervor. »Wir haben es mit einem Wahnsinnigen zu tun, Sir. Wer ihr das angetan hat, kann nicht bei Trost gewesen sein.«
    »Ja, aber sie stecken lieber den Kopf in den Sand und tun so, als wäre das alles meilenweit von ihnen entfernt«, erwiderte Monk. »Verdenken kann ich ihnen das nicht. Wenn ich könnte, würde ich es ebenso machen. Aber genau das ist ja der Grund für so viele Schandtaten. Wir wollen es nicht sehen, wir wollen nicht hineingezogen werden. Hat das Opfer einen Fehler gemacht und sich das Unglück durch dummes Verhalten selbst zuzuschreiben, dann wird uns schon nichts passieren – sofern wir uns hübsch heraushalten.«
    »Glauben Sie denn, dass es wieder passieren wird, Sir?«, fragte Orme leise. Er stand gegen einen Pfosten gelehnt da und schaute in die Ferne. Monk hatte keine Ahnung, was seinen Blick fesseln mochte. Es gab verblüffende Momente, in denen er sich mit Orme ganz vertraut fühlte, weil sie so viel Bitteres und Schreckliches gemeinsam erlebt hatten, Dinge, die man zwar verstehen, jedoch nicht in Worte fassen konnte. Dann wieder gab es viele Tage wie den heutigen, an denen sie zwar voller gegenseitigem Respekt, der fast an Freundschaft grenzte, zusammenarbeiteten, der Unterschied zwischen ihnen jedoch zu keinem Zeitpunkt in Vergessenheit geriet – zumindest nicht bei Orme.
    Schweigen trat ein. »Es ist gar nicht meilenweit entfernt passiert«, meinte Orme nach einer Weile. »Es war genau hier. Es sei denn, sie ist mit dem Boot gekommen. Ob so oder so, sie ist auf dem Pier umgebracht und dann aufgeschlitzt worden.« Er straffte sich. Sein Gesicht unter der Schirmmütze war bleich. »Oder hat dieser Kerl sie woanders ermordet und dann hier aufgeschlitzt?«, fügte er mit krächzender Stimme hinzu.
    »Wäre sie schon eine Zeit lang tot gewesen, hätte sie nicht derart geblutet«, entgegnete Monk. »Overstone hat gesagt, dass der Zustand des Blutes und die Natur der Blutergüsse ganz dafür sprächen, dass sie gerade erst gestorben war.«
    Orme stieß einen Fluch aus, nur um sich sogleich zu entschuldigen.
    Monk tat die Sache mit einer Handbewegung ab.
    Sie standen auf den nassen Pflastersteinen der Straße. Mehrere Augenblicke lang fiel kein Wort. Mit laut über das Kopfsteinpflaster hallenden Schritten eilten andere Passanten auf dem Weg zu
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