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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk
Autoren: Heinz G. Konsalik
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eigener Herr und brauchte nur wöchentlich einmal nach Jakutsk zu melden: »Alles in Ordnung, Genosse Major. Soll ist erfüllt!« Einfacher geht es nicht, nicht wahr, ein kleiner König zu sein.
    Hauptmann Samsonow und Martin Abels verstanden sich gut. Abends gab Abels dem sowjetischen Offizier Deutschunterricht und las mit ihm Goethe, da in Rußland Goethe als der Inbegriff abendländischer Kultur galt. Als Gegenleistung ließ Hauptmann Samsonow seinen Lehrer Abels zu Anuschka gehen. Es war ein herrliches Leben, eigentlich so frei wie die Wölfe im Wald.
    »Ein schöner Mist, Martin«, sagte Hauptmann Samsonow an einem dieser schneereichen Abende. Er hatte ein langes Schreiben vor sich liegen und Abels sah, daß es eine Liste war. »Euer Adenauer war in Moskau. Du kennst Adenauer?«
    »Nur aus den Berichten der Prawda. Dort nannten sie ihn einen Revanchisten und Kapitalisten.«
    »Es ändert sich vieles.« Hauptmann Samsonow seufzte. »Er war in Moskau, sie haben im Kreml gegessen, Chruschtschow und er und auch andere, und dann haben sie verhandelt über euch.«
    »Über uns? Wieso?«
    »Über die letzten Plennys. Daß ihr nach Hause wollt, haben sie gesagt, und es hat ein Hin und Her gegeben, und nun ist's soweit: Du kommst zurück nach Deutschland!« Samsonow pochte mit der Faust auf die Liste. »Da steht dein Name. Die haben verdammt gute Karteien, die Genossen in Moskau.«
    »Das ist schön.« Martin Abels starrte auf das lange Blatt Papier mit den verschiedenen Stempeln und Unterschriften. »Wissen sie es schon?«
    »Ich sage es ihnen beim Morgenappell und verlese die Namen.«
    »Das wird ein Jubel sein. Nach zehn, bei einigen nach dreizehn Jahren Gefangenschaft zurück in die Heimat. Sie werden es als Wunder betrachten. Wann soll der Transport sein?«
    »In drei Tagen schon. Das Lager Torusk wird aufgelöst.«
    »In drei Tagen.« Abels stand auf und trat an das mit Zeitungspapier verklebte, winterfeste Fenster. Vor ihm lagen die tief verschneiten Hütten des Lagers, der hohe Holzzaun, die Wachtürme, auf denen niemand stand, denn wer wollte von hier aus schon fliehen? Man konnte aus der Hölle entkommen, aber nicht aus dem vereisten Jakutien. »Ich werde natürlich hierbleiben, Hauptmann Samsonow«, sagte Abels. Aber seine Stimme war unsicher.
    Samsonow hustete. »Nein«, antwortete er dann.
    Abels fuhr herum. »Ich habe Anuschka hier. Was soll ich in Deutschland? Ich bleibe in Torusk.«
    »Du stehst auf der Liste, also mußt du mit! Befehl aus Moskau!«
    »Was geht mich Moskau an!« schrie Abels. »Man kann mich doch nicht zwingen, Rußland zu verlassen!«
    »Man kann! Moskau kann alles. Die Politik …«
    »Was kümmert mich die Politik?!«
    »Politik ist unser Leben, Martin.« Hauptmann Samsonow stand auf. Auf seinen breiten Schulterstücken lag das Licht der ungeschützten Glühbirne in der einfachen Fassung. Sie pendelte an einer Schnur mitten im Zimmer. »Ein Preskas aus Moskau ist ein Heiligtum, ist mehr als ein Wort Gottes, wenn man solche dummen Vergleiche machen darf. Du stehst hier unter Nummer 5.296, Transport 9, und du mußt mit!«
    »Ich weigere mich!«
    »Dann wird man dich zwingen. Sei nicht blöd, Martin.«
    »Neun Jahre habt ihr mich gegen meinen Willen festgehalten, und das nanntet ihr gerecht. Neun Jahre lang war ich ein Verbrecher, und das war alles in Ordnung. Nun soll ich plötzlich unschuldig sein und zurückkehren in ein Land, das ich vergessen konnte, weil ich Anuschka fand. Ich appelliere an Ihre Menschlichkeit, Hauptmann Samsonow.«
    »O Himmel!« Samsonow schlug die Hände über seiner Glatze zusammen. »Was geht Moskau Anuschka an?! Kann ich dafür? Willst du mich verantwortlich machen? Was bin ich denn?! Ein Kasten, in den man oben die Befehle hineinsteckt und erwartet, daß er die Befehle auch wieder ausspuckt. Ich liebe dieses Torusk auch, und wenn ich daran denke, daß ich vielleicht an die mongolische Grenze komme oder sonstwohin, ich könnte heulen.« Hauptmann Samsonow riß sich zusammen. Er war Offizier, und so schwer es ihm wurde, in diesen Stunden mußte er ganz das sein, was seine Uniform repräsentierte. »Kein Wort mehr, verdammt! In drei Tagen geht der Transport, und du bist dabei!«
    An diesem Abend wurde kein Goethe mehr gelesen.
    Hauptmann Samsonow betrank sich dafür und ertränkte seinen Kummer. Einen Tag später erwachte das Lager Torusk aus dem Schlaf sibirischer Winterkälte. Die Alarmglocke schellte die Sowjetarmisten aus den warmen Stuben.
    Ein Mann war
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