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Ein König wird beseitigt

Ein König wird beseitigt

Titel: Ein König wird beseitigt
Autoren: Heinz Häfner
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wird.
    Aus dynastischer Tradition geprägt, lebte er in der Fiktion des absoluten Königtums, in einer Welt, die republikanischen Staatsformen zustrebte. Mit den unzulänglichen Mitteln eines geheimen, nur wenige Mitglieder zählenden Kommandos («Coalition») verlässlicher Gefolgsmänner wollte er die absoluteHerrschaft wiederherstellen. Diese kleine, auch seinem Schutz vor Attentaten dienende, bald wieder aufgelöste Privatpolizei wurde im Gutachten Guddens als Symptom von Paranoia beurteilt.
    Das beglückende Erleben der Planung und Vollendung seiner Schlösser hat an Zeit und Inhalt seines Lebens mehr und mehr eingenommen. Vom Rang- und Souveränitätsverlust seiner Krone (1871) befördert, war der König mit dem Bau seiner Schlösser immer mehr in seine phantasiegetragene Wunschwelt entführt worden. Das Planen, Bauen, Ausstatten, Einrichten und der Genuss der werdenden Prachtbauen hatte sich zur Passion und schließlich zum süchtigen, andere Lebensinhalte verdrängenden Verhalten entwickelt. Die größtenteils daraus erwachsende Verschuldung führte Ende 1885 zur Sistierung seiner Kabinettskasse. Die Blockade aller Möglichkeiten weiterer Geldbeschaffung von Anfang 1886 an brachte Ludwig II. in die letzte, die Verzweiflungsphase seiner Sucht. Aus Abhängigkeit und Angst, den tragenden Grund seines Lebens einzubüßen, verfiel er in rastlose, teils realistische, teils groteske, teils auch rechtswidrige Bemühungen der Beschaffung von Geld. Erst die Festnahme auf Schloss Neuschwanstein um Mitternacht des 11. zum 12. Juni 1886 durch den Psychiater Gudden und die ihn begleitenden Irrenpfleger entzog dem König auch alle Möglichkeiten süchtigen Ersatzhandelns vergeblicher Geldbeschaffung. Sie warf Ludwig zurück auf einen Zustand erzwungener Passivität und nüchterner Reflexion und auf das mit solchen Entzugszuständen häufig verbundene Selbstmordrisiko.
    Ein zweiter Persönlichkeitszug besteht in einem narzisstisch übersteigerten Selbstbewusstsein. Es entsprang dem Aufwachsen in der monarchischen Subkultur des elterlichen Königshofes, der Prägung durch die dynastische Tradition – in Gestalt der als monarchisches Prinzip benannten Vorstellung, der Herrscher sei durch Geburt von Gott berufen und stehe über Gesetz und Staat. Das übersteigerte Selbstbewusstsein Ludwigs in Kindheit und Jugend setzte sich nach der Thronbesteigung als Hochmut und überheblichkeit fort, die sich mitunter in anmaßender oder dünkelhafter Behandlung anderer Menschen, vor allem einiger Mitglieder der königlichen Familie, niederschlug.
    Der dritte Persönlichkeitszug war die homoerotische Disposition des Königs. Sie führte zur raschen Lösung seiner Verlobung mit Prinzessin Sophie Charlotte in Bayern. Ludwig ging keine Heirat ein und zeugte keine Nachfolger. Im Zusammenhang mit der Geisteskrankheit seines Bruders Otto und der Kinderlosigkeit seines Onkels König Otto von Griechenland führte dies zu einer bedeutsamen Machtverschiebung. Prinz Luitpold und nach ihm sein Sohn Ludwig wurden die nächsten Anwärter auf den Thron nach Ludwig II. Bei Hofe hatte die weitere Entwicklung seines homoerotischen Verhaltensden Verlust fähiger Hof- und Kabinettssekretäre bewirkt. Der späte Übergang zur Promiskuität hatte mit der zunehmenden Beschränkung des Hofes auf Personen niedrigen Standes – Stallpersonal, Lakaien, Reitersoldaten – eine deutliche Veränderung der Atmosphäre am Königshof zur Folge.
    Der vierte Persönlichkeitszug entwickelte sich aus Schüchternheit im Kindesalter zu einer ausgeprägten und letztendlich schweren sozialen Phobie mit Panikzuständen im weiteren Lebenslauf. Diese Angstkrankheit, unter der auch sein Vater, Max II., gelitten hatte, geht mit der Überzeugung einher, von anderen Menschen verachtet oder verurteilt zu werden. Zur Bewältigung der Ängste entwickelte Ludwig früh ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten gegenüber Angst auslösenden Situationen und Personen, und damit gegenüber der «besseren» Gesellschaft und der königlichen Familie. Vertrauens- und Intimpartner – etwa Schauspieler, Schriftsteller und seine homoerotischen Favoriten –, auch Leute, von denen er annahm, dass sie ihn nicht kannten, waren von diesen Ängsten meist ausgenommen. Die sozialen Ängste waren später durch den subtotalen Zahnverlust des Königs und durch die Peinlichkeit des Missbrauchs abgeordneter Reitersoldaten erheblich verstärkt worden.
    Der partielle, aber streng geregelte Rückzug des Königs
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