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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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»jungen Mann« für sein Kabinett wünschte. Dabei zeigte sich, daß ihm furchtbar viel daran lag, Werssilow eine Gefälligkeit zu erweisen, sozusagen den ersten Schritt in seine Richtung zu tun, und Werssilow gestattete es. Seine Anordnung hatte der alte Fürst während der Abwesenheit seiner Tochter, einer Generalswitwe, getroffen, die ihm diesen Schritt gewiß nicht erlaubt hätte. Davon später, ich möchte nur erwähnen, daß gerade dieses merkwürdige Verhalten gegenüber Werssilow mich stutzig machte und zugunsten des alten Herrn zu sprechen schien. Man hätte denken können, daß, wenn ein Senior der beleidigten Familie seine Achtung gegenüber Werssilow nicht verloren hätte, die kursierenden Gerüchte über Werssilows Gemeinheit absurd oder jedenfalls zweifelhaft wären. Es lag zum Teil an diesem Umstand, daß ich gegen meine Anstellung nicht protestierte: Ich habe gehofft, gerade in der neuen Position allem auf den Grund zu gehen.
    Diese Tatjana Pawlowna spielte zu jener Zeit, als ich sie in Petersburg antraf, eine höchst bedeutsame Rolle. Ich hatte sie fast völlig vergessen und war verblüfft und hatte niemals damit gerechnet, daß sie einen solchen Einfluß haben könnte. Ich hatte sie früher, während meines Moskauer Lebens, drei- oder viermal gesehen, sie tauchte, Gott weiß woher, in irgendeinem Auftrag auf und war jedesmal da, wenn es galt, mich irgendwo zu etablieren – als ich in der elenden Pension von Touchard untergebracht werden sollte oder später, nach zweieinhalb Jahren, beim Eintritt ins Gymnasium und beim Einzug in die Wohnung des unvergeßlichen Nikolaj Semjonowitsch. Wenn sie auftauchte, verbrachte sie mit mir diesen ganzen Tag, prüfte meine Wäsche und meine Kleidung, kutschierte mit mir über den Kusnetzkij und durch die ganze Stadt, kaufte alles Notwendige ein, bedachte meine ganze Aussteuer, vom Koffer bis zum Federmesser; dabei mäkelte sie den ganzen Tag an mir herum, beschimpfte mich, redete mir ins Gewissen, examinierte mich, hielt mir irgendwelche phantastischen Knaben, ihre Bekannten und Verwandten, als unerreichbare Beispiele vor, die alle viel mehr taugen sollten als ich, und hat mich, Ehrenwort!, sogar geboxt, sogar mehrmals, und zwar schmerzhaft. Nachdem meine Ausstattung komplett und ich an Ort und Stelle eingerichtet war, verschwand sie spurlos für einige Jahre. Sie war es, die sogleich nach meiner Ankunft erschien und alle Anstalten traf, um mich abermals zu etablieren. Sie war ein dürres, zierliches Persönchen mit einer spitzen Vogelnase und flinken Vogeläuglein. Werssilow diente sie wie eine Sklavin und betete ihn an wie den Papst, aber aus vollster Überzeugung. Sehr bald jedoch mußte ich zu meinem Erstaunen feststellen, daß ausnahmslos alle ihr überall die höchste Achtung entgegenbrachten und sie, das war die Hauptsache, ausnahmslos und überall kannten. Der alte Fürst Sokolskij behandelte sie mit einzigartigem Respekt, seine Familie ebenfalls; diese hochmütigen Kinder Werssilows ebenfalls; die Fanariotows ebenfalls – indessen lebte sie von Handarbeiten, wusch irgendwelche Spitzen und holte sich ihre Aufträge in einem Laden. Wir beide haben uns vom ersten Wort an gestritten, weil es ihr sofort einfiel, an mir wie einst, vor sechs Jahren, herumzumäkeln; seitdem zankten wir uns jeden Tag; aber das war kein Hindernis für gelegentliche Unterhaltungen, und ich gestehe, daß sie mir gegen Ende des Monats sogar gefiel; ich denke, wegen ihres unabhängigen Charakters. Aber das habe ich sie übrigens nicht merken lassen.
    Es war mir sofort klar, daß ich meine Anstellung bei diesem alten, kranken Herrn nur zu dem Zweck erhalten hatte, ihn zu »amüsieren«, und daß darin mein ganzer Dienst bestand. Natürlich fühlte ich mich dadurch erniedrigt, und ich hatte unverzüglich entsprechende Maßnahmen getroffen; aber bald erweckte dieser alte Sonderling in mir einen völlig unerwarteten Eindruck, etwas Ähnliches wie Mitleid, und am Ende des Monats hing ich irgendwie seltsamerweise an ihm und ließ meine ursprüngliche Absicht, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, einfach fallen. Er war übrigens nicht älter als sechzig. Aber da gab es eine Geschichte für sich. Vor etwa anderthalb Jahren hatte er plötzlich eine Art Attacke erlitten, gerade auf einer Reise schnappte er unterwegs über, so daß es zu einem Skandal kam, über den in Petersburg eine Weile geredet wurde. Wie in solchen Fällen üblich, wurde er schnurstracks ins Ausland gebracht, aber etwa
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