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Echo gluecklicher Tage - Roman

Echo gluecklicher Tage - Roman

Titel: Echo gluecklicher Tage - Roman
Autoren: Lesley Pearse
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fragte Beth ängstlich. »Weil ich mich immer beschwert habe, dass mir zu Hause langweilig ist, und du immer zu den Docks gelaufen bist?«
    Sam schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Ich hörte ihn einmal mit einem Kunden über mich reden. Er lachte und sagte, ich sei ein guter Junge, selbst wenn ich ein Träumer sei. Und du hast ihn ganz sicher nicht aufgeregt; er war stolz auf dich.«
    »Aber wovon sollen wir jetzt leben?«, fragte Beth. »Du hast nicht genug Erfahrung, um den Laden weiterzuführen!«
    Die Leute wunderten sich oft darüber, wie verschieden Beth und Sam waren. Nicht nur im Aussehen – der eine groß und blond, die andere klein und dunkelhaarig –, auch im Wesen unterschieden sie sich voneinander.
    Sam war ein Träumer, lebte in einer Fantasiewelt aus fantastischen Abenteuern, Reichtümern und exotischen Orten. An einem Tag lungerte er unten am Hafen herum und blickte sehnsüchtig den auslaufenden Schiffen nach; am nächsten blickte er durch die Tore der großen Häuser und staunte darüber, wie die Reichen lebten. Obwohl er es Beth nie gestanden hatte, wusste sie, dass er nur deshalb kein Schuster oder Schuhmacher sein wollte, weil dabei niemand reich wurde oder Abenteuer erlebte.
    Beth war viel praktischer und vernünftiger als ihr Bruder, erledigte ihre Aufgaben gründlich und mit Fleiß. Sie war schlauer und las Bücher, um sich Wissen anzueignen, anstatt vor der Realität zu fliehen. Doch sie konnte verstehen, warum Sam in einer Fantasiewelt lebte, denn sie hatte auch Träume, wollte Geige vor einem großen Publikum spielen und donnernden Applaus hören.
    Das war natürlich ein unerreichbarer Traum. Selbst wenn sie klassische Violine hätte spielen können, hatte sie noch nie eine weibliche Geigenspielerin in einem Orchester gesehen. Doch sie spielte Jigs und Reels, Melodien, die ihr Großvater sie gelehrt hatte, obwohl die meisten Leute das als Zigeunermusik empfanden, die es nur in lauten Wirtshäusern gab.
    Trotz aller Unterschiede standen Beth und Sam sich jedoch sehr nahe. Sie trennte nur ein Jahr, und weil sie nie mit den anderen Kindern aus der Nachbarschaft auf der Straße spielen durften, waren sie immer aufeinander angewiesen gewesen.
    Sam stand von seinem Stuhl auf, kniete sich neben Beth und legte die Arme um sie. »Ich kümmere mich um euch beide, irgendwie«, sagte er mit bebender Stimme.
    In den folgenden Tagen durchlebte Beth ein Wechselbad der Gefühle zwischen überwältigender Trauer und Wut. Sie hatte noch keinen Tag ihres Lebens ohne ihren Vater verbracht; er war eine Konstante gewesen, genau wie die Standuhr, die die Stunden schlug. Der drahtige Mann von fünfundvierzig Jahren mit dem schütteren grauen Haar, dem sorgfältig getrimmten Schnurrbart und der eher dicken Nase war immer fröhlich gewesen und, wie sie geglaubt hatte, durchschaubar.
    Er hatte seine Gefühle zwar nicht offen gezeigt – ein Schulterklopfen war seine Art gewesen, Zuneigung oder Lob auszudrücken –, aber er war auch nicht so distanziert gewesen wie so viele andere Väter. Er hatte es gemocht, wenn sie in den Laden herunterkam und mit ihm redete, während er arbeitete; er hatte sich immer für das interessiert, was sie las, und für ihre Musik.
    Aber jetzt kam es ihr vor, als wenn sie ihn gar nicht wirklich gekannt hätte. Wie konnte er oben in die Küche kommen und mit seiner Frau und seiner Tochter Tee trinken, wenn er die ganze Zeit über vorhatte, wieder nach unten zu gehen, seine Arbeit zu beenden und sich dann zu erhängen?
    Er hatte über ein Paar geknöpfte Stiefel gesprochen, die eine Frau gerade an dem Morgen bestellt hatte, und darüber gelacht, dass sie blassblaue wollte, die zu ihrem Kleid passten. Er meinte, dass sie in den schmutzigen Straßen von Liverpool nicht lange gut aussehen würden. Warum hatte er das gesagt, wenn er doch wusste, dass er sie niemals machen würde?
    Wenn er an einem Herzanfall gestorben wäre oder ein Pferdewagen ihn beim Überqueren der Straße überfahren hätte, dann wäre das schrecklich gewesen und der Schmerz, den sie alle empfunden hätten, genauso quälend. Doch dann hätte sich zumindest keiner von ihnen betrogen gefühlt.
    Ihre Mutter hörte nicht auf zu weinen. Sie lag nur im Bett, weigerte sich zu essen und erlaubte ihnen nicht, die Vorhänge zu öffnen, und Sam war wie eine verwirrte verlorene Seele, überzeugt davon, dass es seine Schuld war, weil er so wenig Lust gehabt hatte, ein Schuhmacher zu werden.
    Nur ein paar Nachbarn hatten ihr
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