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EB1021____Creepers - David Morell

EB1021____Creepers - David Morell

Titel: EB1021____Creepers - David Morell
Autoren: David Morrell
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auf
    durchweichten Fensterbrettern. Manche der vergilbten Zei‐
    tungen und Zeitschriften stammten aus dem Jahr, in dem ich
    geboren war.
    Aber keine dieser Entdeckungen bedeutete mir mehr als das
    Plattenalbum, das ich auf einem rissigen Linoleumfußboden
    neben einem umgestoßenen dreibeinigen Tisch entdeckte. Ich
    fand irgendwann heraus, dass man so etwas ein Album nann‐
    te, weil Schallplatten bis zu den fünfziger Jahren aus dickem,
    brüchigem Schellack bestanden, auf jeder Seite mit nur einem
    einzigen Titel bespielt waren und in ihren Papierhüllen in
    Ordnern aufbewahrt wurden, die an Fotoalben erinnerten. Zu
    dem Zeitpunkt, zu dem ich das Album entdeckte, waren diese
    Platten (die mit 78 U/min abgespielt wurden) von den dünnen
    Langspielplatten aus Vinyl abgelöst worden, die sehr viel wi‐
    derstandsfähiger waren, auf jeder Seite bis zu acht Titel hatten
    und mit 33,33 U/min abgespielt wurden.
    Ich hatte noch nie ein Album gesehen. Als ich es öffnete,
    verspürte ich eine Ehrfurcht, die auch das Kratzen von zerbro‐
    chenem Schellack kaum dämpfen konnte. Zwei der Scheiben
    waren zerbrochen. Aber die meisten von ihnen (vier, wenn ich
    mich recht entsinne) waren intakt. Ich umklammerte diesen
    Schatz und rannte nach Hause. Unser Radio war mit einem
    Plattenspieler kombiniert. Ich stellte den Teller auf 78 U/min
    ein (eine Funktion, die damals ganz gebräuchlich war) und
    legte eine der Platten auf.
    Ich habe den Song mehrfach abgespielt. Ich kann die kratzi‐
    ge Melodie noch heute hören. Auch den Titel habe ich nie ver‐
    gessen: »Those Wedding Beils Are Breaking Up That Old
    Gang OfMine«. Eine Internetsuche erbringt die Information,
    dass der Song im Jahr 1929 von Irving Kahal, Willie Raskin
    und Sammy Fain geschrieben wurde. Er war sowohl melo‐
    disch als auch rhythmisch, war sofort ein Erfolg und wurde im
    Lauf der Jahre oft neu aufgenommen. Aber damals wusste ich
    nichts von alldem. Auch die in den Versen zum Ausdruck ge‐
    brachten Gefühle verstand ich nicht – die Einsamkeit eines
    jungen Mannes, dessen Freunde alle heiraten. Was mich faszi‐
    nierte, war der kratzige Klang. Er stammte so unverkennbar
    aus der Vergangenheit und diente mir als ein Zeittunnel,
    durch den meine Phantasie in eine andere Epoche reisen konn‐
    te. Ich stellte mir die Band vor, Leute in ungewohnter Klei‐
    dung und umgeben von ungewohnten Gegenständen, die
    altmodische Musik in einer Kulisse machten, die in meiner
    Gedankenwelt immer unscharf und schwarzweiß waren. An
    den Namen der Gruppe allerdings kann ich mich bedauerli‐
    cherweise nicht erinnern. So viel zum Thema Unsterblichkeit.
    Seither habe ich häufig dem Bedürfnis nachgegeben, aufgelas‐
    sene Gebäude zu erforschen, gar nicht zu reden von Tunneln
    und Entwässerungsröhren, obwohl ich nie wieder etwas so
    Bemerkenswertes gefunden habe wie dieses Schallplattenal‐
    bum. Ich ging davon aus, dass meine traumatische Kindheit
    für meine Begeisterung für bröckelnde, verlassene Bauten ver‐
    antwortlich war und dass ich mit meiner Besessenheit von
    Bindegliedern mit der Vergangenheit allein war. Inzwischen
    ist mir klar, dass es von meiner Sorte noch viele andere gibt.
    Sie nennen sich »urban explorers«, »urban adventurers« oder
    »urban speleologists«; ihr Spitzname ist »Creepers«. Wenn
    man bei Yahoo »urban explorer« eingibt, stößt man auf die
    verblüffende Anzahl von 170.000 Internet‐Kontakten. Versucht
    man das Gleiche bei Google, findet man die noch erstaunliche‐
    re Anzahl von 225.000 Kontakten. Es ist nur folgerichtig, da‐
    von auszugehen, dass hinter jedem dieser Links mehr als nur
    ein einziger, einsamer Abenteurer steckt. Schließlich baut nie‐
    mand eine Site zusammen, wenn er oder sie nicht bereits ein
    Gefühl von Gemeinsamkeit hat. Diese 395.000 Kontakte sind
    Gruppen, und die simple Logik legt nahe, dass auf jede Grup‐
    pe, die an die Öffentlichkeit geht, mehrere andere kommen,
    die es vorziehen, im Hintergrund zu bleiben. Diejenigen, die
    lieber anonym bleiben, haben einen guten Grund dafür. Man
    muss im Gedächtnis behalten, dass diese Art von Entdeckertä‐
    tigkeit illegal ist. Sie schließt das unbefugte Betreten von Pri‐
    vateigentum ein. Sie ist außerdem gefährlich und kann tödlich
    sein. Die Behörden neigen dazu, Freiheitsstrafen und/oder ho‐
    he Geldstrafen zu verhängen, um Nachahmer abzuschrecken.
    Dementsprechend betonen viele dieser Websites, dass die
    »Creepers« die
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