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Éanna - Ein neuer Anfang

Éanna - Ein neuer Anfang

Titel: Éanna - Ein neuer Anfang
Autoren: Leonie Britt Harper
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aus dem wohlgenährten Gesicht geschlagen. Denn im Gegensatz zu ihr, Emily, Brendan und den meisten anderen Zwischendeckspassagieren bot Caitlin ein Bild praller, unverwüstlicher Gesundheit.
    Was auch nicht weiter verwunderlich war, hatte sie sich doch Nacht für Nacht mit schamlosen Liebesdiensten für den Schiffskoch, den Quartiermeister und einige andere Seeleute üppige Extrarationen erkauft, wie Éanna wusste. Sogar Fleisch, Eier und weißes Brot aus der Offiziersmesse sollten der Lohn für Caitlins zweifelhafte Dienste gewesen sein, von Rum und Brandy sicher ganz zu schweigen.
    Éanna bezwang das übermächtige Verlangen, es Caitlin mit gleicher Münze heimzuzahlen. Nein, sie durfte sich auf keinen Fall anmerken lassen, wie sehr die gehässigen und anzüglichen Bemerkungen sie noch immer trafen. Diesen Triumph gönnte sie ihrer Rivalin nicht.
    Deshalb setzte sie ein betont überlegenes Lächeln auf und erwiderte mit kühl beherrschter Stimme: »Du kannst noch so viel bösartiges Gerede aus deinem dreckigen Schandmaul spucken, es ändert doch nichts daran, dass nicht du es bist, die mit Brendan an Land geht, sondern ich. Du dagegen kannst einem wirklich leidtun. Denn jemand wie du wird auch in einer neuen Stadt von Jahr zu Jahr tiefer sinken, bis er endgültig und für immer als abgetakelte Dirne in der Gosse landet!« Mit diesen Worten drängte sie sich energisch an Caitlin vorbei und lief, das kostbare Buchpaket fest an ihre Brust gepresst, an der endlosen Reihe der Stockbetten entlang zurück in Richtung Niedergang.
    »Und du wirst mit Brendan Flynn noch dein blaues Wunder erleben, Schätzchen!«, schrie Caitlin ihr nach. Ihre Stimme überschlug sich vor Hass. »So ein unbedarftes Ding wie du hält jemanden wie ihn nie und nimmer, darauf kannst du Gift nehmen, Éanna! Dem steht der Sinn nach besserer Kost, als du sie ihm zu bieten hast! Eines Tages, wenn das böse Erwachen kommt, wirst du schon noch an mich denken, du Unschuld vom Lande!«
    Éanna straffte die Schultern und ging hoch erhobenen Hauptes weiter. Doch so ganz konnte sie dennoch nicht verhindern, dass sich die bösartigen Worte in ihrem Kopf einnisteten. Was, wenn Caitlin doch recht hatte? Sie hatte schon einmal geglaubt, Brendan für immer verloren zu haben! Wer garantierte ihr, dass er diesmal wirklich bei ihr blieb?
    Doch als sie endlich den Niedergang erreicht hatte und hinaufstieg, dem furchtbaren Gestank entkam und wieder an Deck gelangte, wo die Sonne warm auf ihr Gesicht fiel, schob sie diesen beunruhigenden Gedanken sofort energisch beiseite. Seit wann gab sie etwas auf Caitlins schändliches Gerede?
    Auf dem Oberdeck herrschte noch immer wildes Gedränge und Geschiebe, Kinder schrien durcheinander, Gepäckstücke wurden von Bord getragen.
    Éanna klemmte sich ihr Buchpaket fest unter den linken Arm und verhakte die Finger der rechten Hand unter den festen Kordelschnüren, um zu verhindern, dass ihr ein Dieb den kostbaren Besitz entreißen und mit der Beute in dem Durcheinander entkommen konnte.
    Sie hatte schon fast die Pforte an der Reling erreicht, die hinaus auf die Gangway führte, da trat links vor ihr plötzlich Patrick aus der Menge.
    Éannas Herz setzte für einen Moment aus. Er jedoch wirkte nicht überrascht, sie zu sehen, fast hatte es den Anschein, als habe er bereits längere Zeit nach ihr Ausschau gehalten, um sie abzupassen, bevor sie von Bord ging.
    Éanna schluckte. Wie schon so oft zuvor wusste sie auch jetzt die widersprüchlichen Gefühle nicht einzuordnen, die sie empfand. War es spontane Freude, Scham und oder nur Beklommenheit? Sosehr sie es auch versucht hatte, sie konnte noch immer nicht die Liebeserklärung vergessen, die Patrick ihr damals in Dublin kurz vor ihrer Abreise gemacht hatte. Und schon gar nicht den innigen Kuss, der ein Abschiedskuss hätte sein sollen und eine Flut von verwirrenden Gefühlen in ihr ausgelöst hatte.
    Nie hätte sie sich bei ihrer allerersten Begegnung träumen lassen, welche Rolle Patrick einmal in ihrem Leben spielen würde. Ohne Geld, Arbeit und Nahrung war sie damals durch Irland geirrt und vor dem Gasthof in der Kleinstadt Ballinasloe zufällig auf den jungen Herrn von sichtlich vornehmem Stand aufmerksam geworden, der einen teuren Spazierstock mit silbernem Knauf neben dem Kutschenschlag vergessen hatte. Es war ihr erster Versuch gewesen, etwas zu stehlen, und sie war dabei prompt auf frischer Tat ertappt worden. Von da an hatten sich ihre Wege immer wieder gekreuzt und ein
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