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Éanna - Ein neuer Anfang

Éanna - Ein neuer Anfang

Titel: Éanna - Ein neuer Anfang
Autoren: Leonie Britt Harper
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verschnittener Whisky, den man mit dem roten Saft von Lebenseichen hübsch eingefärbt hat!«
    Brendan zuckte die Achseln. Er hatte in Dublin nicht nur als Kohlenschipper, sondern eine Zeit lang auch als Aufpasser für eine illegale Kellertaverne gearbeitet. »Nicht viel anders als bei uns in Dublin! In den Slums der Liberties ging es fast genauso her.«
    Doch Frederick Calloway lachte nur spöttisch. »Junge, selbst die übelsten Slums von Dublin sind gegen Five Points, Hell’s Kitchen, Dutch Hill und bestimmte Hafenbezirke hier die reinsten Kinderspielplätze – und das sind nur einige der unzähligen verruchten Viertel New Yorks!«
    Indigniert zog Brendan die Brauen hoch und brummte säuerlich: »Was Ihr nicht sagt.« Dass der Mann ihn mit Junge anredete, obwohl er bereits fast neunzehn Jahre alt war, passte ihm offensichtlich gar nicht. Doch Mister Calloway ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
    »Ja, da gibt es Straßen, die nicht von ungefähr Poverty Lane, Misery Row und Death Avenue heißen, und dann diese entsetzlichen Mietshäuser mit Namen wie Gates of Hell und Brickbat Mansion!«, erzählte er, während sie nach rechts in die Lombardy Street einbogen.
    Éanna verfolgte das Gespräch nur mit halbem Ohr. Viel zu sehr wurde ihre Aufmerksamkeit von den vielen Verkäufern und Händlern abgelenkt, die ihnen hier überall in den Straßen begegneten und in deutlichem Kontrast zu den gut gekleideten New Yorker Geschäftsleuten und Angestellten standen:
    Da waren junge Mädchen in abgerissener, schäbiger Kleidung, die heiße Maiskolben, Blumen, Streichhölzer oder Ingwergebäck in Weidenkörben, Kistchen oder Lattengestellen durch die Straßen trugen und den Vorbeikommenden ihre Waren für ein paar Cent zum Kauf anboten. Zeitungsjungen, viele kaum älter als neun, zehn Jahre, standen an belebten Kreuzungen und schrien lauthals »Extra! Extra!«. Wenig später sah Éanna einen Schwarzen, der geröstete Schweineohren feilbot und mehrere Hüte übereinandertrug, kurz darauf Frauen mit grauen, übermüdeten Gesichtern, die schwere Körbe voll schmutziger Wäsche schleppten. Merkwürdig aussehende Gestalten, die von den New Yorkern Sandwich-Männer genannt wurden, wie Frederick Calloway schmunzelnd erklärte, gingen mechanisch auf und ab, vor der Brust und auf dem Rücken je ein großes Pappschild, auf dem für irgendein Produkt oder ein Geschäft geworben wurde.
    Was Éanna in diesen ersten Minuten in den Straßen und Gassen jenseits des Hafens sah, war das ihr nur allzu vertraute Gesicht der Armut, der verzweifelte Versuch, auf irgendeine Weise ein wenig Geld für den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Ihr Herz sank und sie ahnte, dass ihre Freude auf den neuen Anfang vielleicht zu voreilig gewesen war. Denn mit Gold waren die Straßen in New York wohl genauso wenig gepflastert wie in Dublin.
    »Vor den vielen miteinander rivalisierenden Gangs von Five Points und der West Side solltet ihr euch in Acht nehmen.« Mister Calloway war stehen geblieben und drehte sich zu den Einwanderern um. »Ebenso müsst ihr euch von den Daybreak Boys und den River Rats, die nachts auf dem East und Hudson River kleinere Schiffe überfallen und ausrauben, fernhalten. All diese Banden sind in New York von einem ganz anderen Kaliber, als ihr es vielleicht von drüben gewohnt seid«, warnte er. »Und das trifft leider auch auf viele Besitzer von Mietshäusern zu: elende Schurken, die als Entgelt für ihre miesen Wohnlöcher rücksichtslos auch noch den letzten Cent aus vielen armen Leuten herauspressen. Also seht bloß zu, dass ihr schnell Arbeit findet, damit ihr euch eine annehmbare Unterkunft leisten könnt, und haltet euch von den gefährlichen und gottlosen Bezirken möglichst fern!«
    »Ist es einfach, hier Arbeit zu finden?«, fragte Éanna.
    »Nun ja«, Frederick Calloway klang nun deutlich zögerlicher. »Also direkt nachgetragen werden einem die Jobs hier nicht gerade, das ist mal sicher. Bei den Hundertschaften neuer Einwanderer, die täglich in die Stadt kommen, muss man sich schon ordentlich bemühen, um Arbeit zu finden, die einen auch gut ernährt. Aber das ist wahrlich kein Grund, den Kopf hängen zu lassen! Warum sollte euch nicht gelingen, was schon unzählige Iren vor euch geschafft haben! Viele von ihnen sind hier genauso arm angekommen wie ihr und haben mittlerweile doch ein ganz ordentliches Auskommen. Man muss nur Augen und Ohren offen halten, ein bisschen clever sowie willens sein, hart zu arbeiten.«
    »Und
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